MieterEcho
Nr. 265 - November/Dezember

Planwerk: Revitalisierung des sozialen Wohnungsbaus?

Vor einem Jahr, am 29.11.96, wurde es im denkwürdigen Staatsratgebäude in Anwesenheit von mehr als 500 Teilnehmern der Öffentlichkeit vorgestellt und löste eine heftige, ablehnende Diskussion in jenem übergroßen Teil der Fachöffentlichkeit aus, der offenkundig seine unmittelbaren Interessen nicht mit denen der politisch Verantwortlichen und ihrer politischer Zielstellung verknüpft hatte. Die Rede ist vom Planwerk, dem monströsen Gebilde, das der Senator für Stadtentwicklung usw. Peter Strieder, der "Stadtmanager" (so Strieder über Strieder), in Auftrag gegeben hatte und das stadttheoretisch-ideologisch von dem Theologen Dr. Dieter Hoffmann-Axthelm, dem "Stadtdenker" (so Hoffmann-Axthelm über Hoffmann-Axthelm) für den Ostteil der Stadt so zugerichtet worden war, als handle es sich bei dem ehemals realsozialistischen Stadtraum mit seinen vielen öffentlichen Flächen um einen Hort des Antichristen, den es unter dem Banner postmoderner kritischer Rekonstruktion in das christliche Mittelalter auf der Grundlage des historischen Stadtgrundrisses zurückzuführen gelte. Dort könne "die Parzelle ihre soziale Heilkraft" (S. Hain) dadurch entfalten, daß sie außerordentlich preisgünstig in das Eigentum des besitzenden Stadtbürgers bzw. der neuen urbanen Eliten gelangt.

Angesichts der Dotierungen von über 1 Mio. DM für das gesamte Planungsprojekt wurde den Steuerzahlern das Lehrstück vorgeführt, wie man aus der Magermilch seiner frommen Denkungsart fette Sahne schlagen kann oder warum es sich lohnt, früher gezeigte demokratische Attitüden, die manch einer an dem Herrn Pfarrer erkannt haben will, wie eine schäbig gewordene Soutane abzulegen.

Leidenschaftliche Kritik am Planwerk

Simone Hain, Kunsthistorikerin und Mitglied des Berliner Denkmalrates, fragte seinerzeit: "Was bedeutet dieser gigantische Plan? Was hat einer im Kopf, wenn er sich solche Definitionsmacht anmaßt? Auf welches politische Selbstverständnis begründet sich dieses planerische Handeln? Welche unerfüllbare Hoffnung auf Vollstreckungsmacht verbirgt sich hinter dem Anspruch?", und sie stellte den Zusammenhang zu in der Nähe totalitärer Gesellschaftsmodelle angesiedelten planerischen Traditionen her, in denen sich Hang zur Pastoralmacht und/oder zu illusionären Gesamtkunstwerksvorstellungen ausdrückt. Das ganze Werk sei gekennzeichnet durch eine extreme Pendelbewegung zwischen postmodernem Urbanismus = gut und ehemaligem realsozialistischen Ambiente = böse, wie sie Konvertiten eigen ist und dargeboten mit der Rhetorik einer Demagogie, die es genießt, den martialische Brachebegriff auf großzügigen öffentliche Freiräume in einer Art anzuwenden, wie es mit dem Schimpfwort Rattenlöcher für die Mietskasernen, die zur Totalsanierung anstanden, geschehen ist. Die Bezirksstadträtin von Berlin-Mitte, Karin Baumert, stellte schlicht fest, "daß die Entstehung und Einführung des Planwerkes nicht den Gepflogenheiten demokratischer Planungskultur entspricht" und folgerte: "so gibt es auch keine gesetzliche Rechtfertigung für diese Planung." Als "ein Ding fürs Klo" (Sabine Ritter) bezeichneten die Bündnisgrünen drastisch und volksnah Verfahren und Inhalte des Planwerks.

Jörg Dargel, Stadtplaner, sprach von "unsäglicher Arroganz der Macht und unverblümter persönlicher Eitelkeit" die auf die "zynische Deprivation des aufgeklärten Städters im Informationszeitalter" abziele. Bruno Flierl, Bauhistoriker, nannte das Planwerk ein "postmodernes Bauklötzchenspiel" bei dem "Hoffmann-Axthelm unterstützt von seinem Partner Bernd Albers mit geradezu besserwissendem "Westberliner Blick" eigene Bilder subjektiver Wahl als gesuchte Lösung selbst vorgibt: "Einbeziehung der von der DDR hinterlassenen baulichen Substanz in einen reproduzierten historischen Stadtgrundriß des Zentrums durch Rückbau und Ergänzung, bis diese darin strukturell verschwindet - abrißfrei."

Für den Stadtplaner Bernd Hunger ist es ein Planwerk ohne Liebe zur vorhandenen Stadt, in dem der DDR-Städtebau als Unkultur, als Störfall angesehen wird und mit einem Rückbauplan des Pfarrers gesegnet, der mittelalterlich sei. Das wird bewertet, als "eine 'Kampfansage' an das gesamte Ost-Zentrum in seinem derzeitigen Baubestand" und eine "naßforsche Denunziation der ostberliner Wiederaufbauleistung" so der Architekturkritiker Wolfgang Kil.

Undemokratisch war's schon lange

Es wurde in jüngster Zeit immer ruhiger um das Planwerk und die erleichternde Hoffnung, es habe auf dem Gottesacker seinen letzten Frieden gefunden, begann sich auszubreiten. Doch der dazu nötige Glaube an die demokratische Überzeugungskraft hätte durch einen Rückblick auf die jüngste Kreuzberger Vergangenheit jegliche Festigkeit einbüßen müssen. Zu den hervorragenden Leistungen des Umweltsenators als Bezirksbürgermeister in Kreuzberg gehört nämlich die faktische Liquidierung der demokratischen Betroffenenvertretungen, die das Fundament der "behutsamen Stadterneuerung" bildeten. Neben den Eigentümern und den Mieter/ Nutzer/Anwohnern waren notwendigerweise die Behördenvertreter in den Prozeß der Entscheidungsfindung bei kleinräumiger Sanierung bzw. bezirklicher Rekonstruktion eingebunden, denn bei Konsens - auf den das Verfahren abzielte und der sehr häufig erreicht wurde - waren die Beschlüsse der Betroffenenvertretungen für die Behörden auf der Grundlage genereller BVV-Beschlüsse bindend. Dieses demokratische Modell funktionierte viele Jahre ausgezeichnet und fand erst sein Ende, als der Bezirksbürgermeister Strieder den Behördenvertretern, pikanterweise denen seiner grünen Baustadtratskollegin Erika Romberg, die Teilnahme an den Sitzungen untersagte. Um die "behutsame Stadterneuerung" soll sich im übrigen gerade der Herr Pfarrer Dr. Hoffmann-Axthelm zu einer Zeit so verdient gemacht haben, als noch üppige Berliner und Bonner Subventionen flossen.

Keine demokratische Beeinflussung

Inzwischen hat die globale Durchsetzung des Neoliberalismus ein politisches Subjekt, die neuen urbanen Eliten, hervorgebracht, das es ganz elitär politisch zu hofieren gilt und ein anderes - noch immer von der Mehrheit der Bevölkerung gebildet - das politisch nur noch als Mehrheitslieferant zu funktionieren hat, dem aber sonst zunehmend jeder soziale Anspruch verweigert wird. So kann es nicht wundern, daß die Diskussion im Stadtforum und anderswo nur als Meinungspluralität politisches Handeln öffentlichkeitswirksam dekorieren, aber nicht mehr demokratisch beeinflussen darf.

Folgerichtig ist man auch schon längst zum alltäglichen Planungsgeschehen zurückgekehrt. Unlängst wurde eine Ausstellung eröffnet, in der die Ergebnisse der, die Bereiche vertiefenden Planwerkstätten vorgestellt werden.

Die Ausstellung ist im Märkischen Museum - der Öffentlichkeit ein wenig entrückt - untergebracht; wer sie anschauen will, muß 3 DM Eintritt zahlen.

Planwerk machbar?

Gleichfalls der Öffentlichkeit entrückt wurden Machbarkeitsstudien angefertigt. Der planungsrechtliche Teil der Studien gibt Auskunft über die für die Bearbeiter nicht problematisch eingeschätzte eigentumsrechtliche Situation. Restitutionsansprüche seien in allzu störender Weise nicht zu fürchten, ansonsten handle es sich zum größten Teil um öffentliche Flächen und damit sei "die Verfügbarkeit und auch die Möglichkeit der günstigen Preisgestaltung gegeben".

In dem vom "Büro Eichstädt" erarbeiteten stadtwirtschaftlichen Teil der Machbarkeitsstudie wurde errechnet, daß insgesamt 4.200.000 m2 Bruttogeschoßfläche (2.5 Mio. m2 im Osten, 1.7 Mio. im Westen) vermarktbar seien.

Bei einer Nutzungsmischung von 50% Wohnanteil, 50% gewerblichem Anteil könnten insgesamt 21.000 Wohneinheiten errichtet werden und es gelänge, den ca. 2 Mio. m2 in dieser Stadt bereits leerstehenden Büroflächen weitere 2 Mio. nicht zu vermietende hinzuzufügen.

Die Erschließung der Flächen würde den Steuerzahler nur ca. 1.600 DM pro m2 mobilisier- bare Baufläche insgesamt ca. 2 Mrd. DM kosten und damit die Größenordnung des Aufwandes für den Tiergartentunnel nicht wesentlich überschreiten, versicherte Wulf Eichstädt unlängst auf einer Anhörung der PDS-Abgeordnetenhausfraktion fröhlich.

Die Wohnungskosten werden auf über 650.000 DM für eine 70 m2 große Wohnung geschätzt, 9.500 DM pro m2. Man erinnere sich, dabei handelt es sich immer um Eigentumswohnungen. Die etwas großzügigere Variante von über 100 m2 setzt die wirtschaftliche Kraft, eine Million DM zu mobilisieren, voraus.

In den Testgebieten Friedrichswerder und Molkenmarkt sowie in den meisten anderen Bereichen der City-Ost handelt man den Boden z.Zt. mit ca. 7.000 DM. Die dringende Empfehlung läuft darauf hinaus, aus politischen Gründen, den zukünftigen Eigentümern diese Kosten nicht aufzuerlegen. 2.000 DM seien das Äußerste, was die Stadt Berlin seinen neuen urbanen Eliten in Rechnung stellen dürfe. Dann verringerten sich die Kosten für die Eigentumswohnung in diesen schicken und schickgemachten Lagen auf 6.400 DM pro m2.

Steuererklärung als Wohnberechtigung

Während die Förderung des sozialen Wohnungsbaus wegen der leeren Haushaltskassen am Ende ist, habe die Förderung des urbanen Wohneigentumbaus durch Einnahmeverzicht der Stadt aus sozialen Gründen zu erfolgen, wird unverblümt argumentiert.

Man kann hinzufügen, daß an die Stelle eines Wohnberechtigungsscheines lediglich eine entsprechende Steuererklärung zu treten hat, und erkennt die eigentliche, die religiöse Leistung des Planwerkes: das Wunder der Wiederauferstehung des sozialen Wohnungsbaus - allerdings nur für Besserverdienende.

Joachim Oellerich


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