MieterEcho
Nr. 265 - November/Dezember

Eine Berlinlektüre, die sich auch für Berliner lohnt

Taz-LeserInnen kennen ihn und auch Mitgliedern der Berliner Mietergemeinschaft ist sein Name ein Begriff - Uwe Rada. Er steht für qualifizierte Berichterstattung über die Berliner Wohnungs- und Stadtplanungslandschaft. Und Uwe Rada kennt sich aus in der Berliner Mietenpolitik. Daß er sich auch darin versteht, die Veränderungen in der Stadt sichtbar zu machen, verdeutlicht sein jüngstes Buch, "Die Hauptstadt der Verdrängung". Bei "Schwarze Risse, Rote Straße", dem Verlag und gleichnamigen Buchladen im Mehringhof erschienen, stellt er hier eine Sammlung von Aufsätzen und Essays zur Verfügung, deren Themen von der ersten Planung seit der Wiedervereinigung, über die "Global-City", bis zu den fatalen Fehlentwicklungen und folgenschwerer Gentrifizierung reichen. Dabei nimmt er insbesondere Berliner Orte auf's Korn, in denen sich diese Entwicklung fokussiert.

Erste Station: Potsdamer Platz und die Berliner Mitte

"Je bunter die Verheißung der Zukunft über den Bildschirm" in der roten Infobox am Potsdamer Platz "flackert, je länger man sich mit dem Joystick auf die virtuelle Reise durch das Zentrum des Jahres 2002 begibt, desto mehr löst sich der Standpunkt des Betrachters auf. In der Stadt der Zukunft wird man sich einmal bewegen wie schon jetzt in der Infobox - nicht als städtischer Akteur, sondern als passiver Benutzer einer vorgegebenen, simulierten Erlebniswelt. Selbst die Cyberpunks haben keine Chance. Wer mit dem Joystick einen Fluchtversuch plant, landet wieder am Anfang: mitten auf dem Potsdamer Platz." Uwe Rada entwirft das wahre Cyber-Berlin, wie es von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder via Masterplan angestrebt wird. Als "Bild von der Zukunft" dient die Friedrichstraße: "Auf jede der dort noch verbliebenen sechzig Mietparteien kommen danach 7.500 Quadratmeter Bürofläche. Daß Reurbanisierung und mit ihr städtisches Leben freilich weniger mit funktionalen Monostrukturen als vielmehr mit einer kleinteiligen Nutzungsmischung zu tun hat, war zu keiner Zeit Thema."

Zweite Station: Der Mythos

Rigoros beurteilt Uwe Rada den Bezirk Kreuzberg (SO36) "vom Mythos zum Sozialfall". Sein Resümée: SO 36 aber auch Neukölln "verslumen". Sie verarmen und zählen zu den Gebieten, die Peter Marcuse mit dem Begriff der "aufgegebene Stadt" kennzeichnet. Rada macht an vielen Beispielen deutlich, daß Berlin sich gerade nicht im wirtschaftlichen Aufschwung befindet. Daß dennoch andere Teilbereiche von Kreuzberg aufgewertet, wobei Kleingewerbe und Mischfunktionalität aber verdrängt wurden, veranschaulicht er anhand des Bergmannstraßenkiezes - einem ehemaligen Sanierungsgebiet. Anläßlich "der Kreuzberger Mischung", einem Terminus des Kreuzberger Pfarrers Klaus Duntze aus dem Jahre 1973, erinnert Rada an eine Kreiskirchenratserklärung: "Sanierung zeigt sich hier (gemeint ist hier die Sanierung des Kottbusser Tors) nicht als Stadterneuerung, die den Menschen eine bessere Lebensqualität verschafft, sondern als Kapitalverwertungsprozeß für Baugesellschaften und Privatleute, als Auftragsfeld für die Bauindustrie, als Spielwiese für Planer und Architekten." Ein Satz, der auch heute Bestand hat.

Dritte Station: Yuppietown

Anhand vieler Details und städtischer Sozialdaten belegt Rada die Theorien führender Stadtsoziologen über die Aufwertung von Städten und Stadtteilen. Verblüffend ist seine Feststellung, daß Gentrifizierung kaum Westberliner Bezirke trifft - selbst in Schöneberg soll die Einwohnerzahl im Verhältnis zum Wohnraum weiter ansteigen. Die Aufwertung findet hingegen in weiten Teilen des Prenzlauer Berges statt. Gerade dieser von Touristen und der Szene gleichermaßen geliebte Ort hat schon jetzt einen überdurchschnittlich hohen Austausch der Bevölkerung erlebt. Auf die Frage, wo die Aktiven des W.B.A. geblieben seien, die noch 1993 zur letzten Großdemonstration gegen die Mietpreiserhöhung in Ostdeutschland mobilisieren konnten, reagiert Rada bitter mit den Gegenfragen: "Ist aus der autonomen Republik Utopia ein ganz realer Ort geworden - für unpolitische Trendsetter, eitle Karrieristen und wehmütige Nostalgiker? Ist die politische Öffentlichkeit des Bezirks mit jenen verschwunden, die ihn verlassen haben? Oder hat sich doch mehr verändert im Bezirk, als am äußerem Wandel, an der ständig steigenden Zahl neuer Kneipen oder Wohnungsangeboten von 5.500 DM für eine 180 Quadratmeter-Wohnung am Kollwitzplatz abzulesen ist? Macht die Individualisierung der Lebensstile auch vor den einstigen Aktivisten nicht halt? Waren sie es womöglich, die die Geister gerufen haben, die nun um den Wasserturm toben?"

Vierte Station: Das Zentrum

Wie ein roter Faden zieht sich durch Radas Buch die Suche nach der Mitte von Berlin als einer "Standortbestimmung" von Trägern einer "tatsächlich neuen sozialen Bewegung". Dabei bedient er sich im wesentlichen sozialpsychologischer Erklärungsmodelle. Etwas zu kurz kommt daher der Hinweis auf die wahren Akteure, die Finanziers der Umwandlung Berlins, denen sich die Bewegung entgegenzustellen hätte. Auf seiner Suche nach den Koordinaten Berlins zerrinnen ihm die harten wirtschaftlichen Daten unter der Last der weichen Standortfaktoren. In Berlin kann doch nur deshalb so hartnäckig geplant werden, weil sich das internationale Kapital zur Zeit rar macht. Die Planer der Stadt versuchen ihre Global-City-Träume unter zur Hilfenahme sämtlicher zur Verfügung stehender Heilsversprechungen marktfähig zu machen. Dabei wird alles, was sich den Verwertungsinteressen widersetzt oder widersetzen könnte zum Problem - in der "Hauptstadt der Verdrängung". Auf der Suche nach dem "Image" und einem "identifikationsträchtigen Leitbild", einer kleinbürgerlichen Vorgartenidylle, spürt Uwe Rada dem Zeitgeist der Stadtplaner nach und läuft doch Gefahr, ihm selbst aufzusitzen, wenn mittels "weicher Standortfaktoren" um die Gunst der internationalen Bedeutung einer Stadt gebuhlt wird. Uwe Rada ist es in seinem Buch gelungen, den Blick für die Verdrängten und Ausgegrenzten zu schärfen. Und die niveauvolle und lesefreundliche Aufsatzsammlung eignet sich sowohl als Bettlektüre wie in der U-Bahn - wo (sonst) lesen wir unsere Bücher?

Es ist unter der ISBN 3-924737-39-8, Verlag Schwarze Risse, Berlin für DM 32,- zu erwerben.

o.k.


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