MieterEcho
Nr. 264 - September/Oktober

Wagenburg Schillingbrücke - on the road
Seit dem 20. August hat die Wagenburg Schillingbrücke einen neuen Platz in Friedrichshain.

Zunächst gab es jedoch einige Irritationen, als die AnwohnerInnen der Revaler Straße, Ecke Döringstraße erfuhren, daß eine Wagenburg in ihre Nähe ziehen sollte. Sofort wurden Bilder wach von verlausten, verdreckten, arbeitsscheuen Gestalten, die Kinder der gegenüberliegenden Kita erschrecken, die alte Menschen belästigen und Fenster einwerfen. Wie erstaunt waren waren da viele AnwohnerInnen, als sie beim BürgerInnengespräch am 4. August vor dem potentiellen Wagenburggelände vergeblich nach solchen Schreckgespensten Ausschau hielten. Ganz normal aussehende junge Menschen, die arbeiten gehen, ihren Garten pflegen und sich nur dadurch von anderen Menschen unterscheiden, daß sie im Wagen leben. Aber so wie viele ihren Sommerurlaub lieber im Wohnwagen, als in sterilen Hotelzimmern verbringen, gibt es auch Menschen, die lieber im Wagen leben, als in festen Wohnungen. Da kann man sich seine NachbarInnen aussuchen und bei Bedarf auch den Standort wechseln. Es ist eben ein eigener Lebensstil, den manche nicht nachvollziehen können. Doch das allein ist ja noch kein Grund, diesen auch für andere abzulehnen. Dennoch ist auch die Angst der AnwohnerInnen zu verstehen, wenn jetzt eine Wagenburg mitten in den Kiez kommt.

In den Medien waren 1996 die Vorkommnisse in der East-Side-Gallery-Wagenburg immens aufgebauscht worden. Zwar gab es dort Kriminalität und Drogen, aber nach den sozialen Ursachen wurde nie gefragt. Stattdessen wurde eine Hetzkampagne inszeniert, die sämtliche Wagenburgen stigmatisierte. Tatsächlich war die Wagenburg an der East-Side-Gallery heruntergekommen, hatte keinen sozialen Zusammenhalt mehr. Denn zunehmend mußten sich dort RollheimerInnen aus anderen bereits geräumten Wagenburgen ansiedeln. Die ungeschriebenen Regeln des alltäglichen Zusammenlebens, die in jeder Wagenburg vorhanden sind, konnten so nicht mehr greifen. Die Vertreibung der RollheimerInnen von der East-Side war nichts weiter, als eine Machtdemonstration der Herrschenden, die sozialen Problemen hilflos gegenüber stehen und Elend mit dem Knüppel bekämpfen.

Die RollheimerInnen an der Schillingbrücke dagegen sind seit Jahren eine konstante Gruppe von 20 Leuten, ein fester Bestandteil alternativer Kiezkultur. Bisher gab es nie Grund zur Aufregung um diese Wagenburg, im Gegenteil. Als der Investor des Grundstückes seine Pläne offenbarte, versprachen die RollheimerInnen, bei Baubeginn das Gelände zu verlassen. Danach beschloß die Bezirksverordnetenversammlung, den BewohnerInnen dieser Wagenburg im Bezirk ein Ersatzgrundstück zur Verfügung zu stellen. Daran erinnerten sich auch einige Bezirksverordnete, die im Mai von den BewohnerInnen um Hilfe gebeten wurden. Als sie eine Räumungsaufforderung bekommen hatten, wußte Bürgermeister Helios Mendiburu (SPD) keinen Ausweichplatz.

Ersatzflächen kannten dafür andere. So war schnell ein bezirkseigenes Grundstück gefunden, daß sich parzellieren und für 1 DM/qm verpachten ließ. Kaum hatten die BewohnerInnnen die Verträge unterschrieben, erreichte die Eigentümerin des Nachbargrundstücks beim Gericht eine Einstweilige Verfügung. Die RollheimerInnen durften vorerst nicht umziehen, da dies angeblich ihren Investor abschrecken würde. Dabei erklärten schon im Sommer 1996 im Spiegel mehrere Manager, daß sie Wagenburgen als lebendigen Teil der Metropole schätzen, die auch zur Steigerung der Attraktivität einer Stadt beitragen. Der neue Standort zwischen S-Bahngleisen und Revaler Straße liegt zudem in einem relativ abgeschiedenen Gewerbegebiet, das durch den Zuzug der Wagenburg aufgewertet wird. Selbst der Bürgermeister hielt am 11. August im Wohnungsausschuß eine flammende Rede zugunsten der RollheimerInnen. Die Vorwürfe, sein Stellvertreter Dieter Hildebrandt (PDS) habe wärend des Urlaubs von Helios Mendiburu eigenmächtig gehandelt und sein Amt mißbraucht, wies der Bürgermeister zurück. Am 19. August entschied das Kammergericht den Streitfall positiv für das Bezirksamt und damit für die RollheimerInnen. Die Kinder der benachbarten Kita haben nun wohl am wenigsten zu fürchten, war doch schon immer etwas für sie dabei, wenn an der Schillingbrücke Feste mit JongleurInnen, AkrobatInnen, SchauspielerInnen und FeuerschluckerInnen veranstaltet wurden. Es könnte doch sehr schön sein, wenn etwas mehr Kultur in diese Gegend Friedichshains käme.

AnKl


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