MieterEcho
Nr. 264 - September/Oktober

Abschied vom landeseigenen Wohnungsbestand
Die Mieterstadt verschwindet im Haushaltsloch

Berlin fehlen mehr als 10 Mrd. DM pro Jahr zu einem ausgeglichenen Haushalt. Ein aufgeblähter bürokratischer Apparat, ein riesiger Schuldenberg sowie unverdrossen fortgesetzte Prestigeprojekte verschlingen Geld, das keiner hat. Man holt es jetzt von den Mietern. Eine runde Mrd. DM steuern sie in diesem Haushaltsjahr über ihre Betriebskosten bei. Das jedenfalls müssen die Berliner Wasserbetriebe an das Land Berlin abführen — die Tariferhöhungen der letzten Jahre sorgen fürs entsprechende Finanzpolster.

Jetzt kommt das Landesvermögen an die Reihe. Rund sechs Mrd. DM soll im nächsten Jahr über Privatisierungen zusammenkommen, vier Mrd. davon betreffen den landeseigenen Wohnungsbestand. Mehr als eine halbe Million Wohnungen in Berlin sind noch im Besitz landeseigener Gesellschaften. Nach ihren Geschäftsbüchern ist jede dieser Wohnungen durchschnittlich 50000 DM wert. Die Bilanzen der Wohnungsbaugesellschaften (31.12.1994) nennen zusammengerechnet ein Anlagevermögen von gut 26 Mrd. DM. Rund 26,5 Mrd. jedoch stehen an Schulden (Fremdkapital) zu Buche. Das Eigenkapital, das am ehesten den Verkaufswert der Gesellschaften spiegelt, beträgt knapp 10 Mrd. DM — weniger als das Berliner Haushaltsloch eines einzigen Jahres.

Die Konzerne klopfen schon an

Der tatsächliche Wert ist aber schwer abzuschätzen. Im politisch verfilzten Berlin darf man mit Höchstwerten aber nicht rechnen. Der Verkauf der GEHAG zum Beispiel: Die Wohnungsbaugesellschaft besitzt rund 34000 Wohnungen, davon 29000 in Berlin. Der Käufer stand im Frühjahr so gut wie fest: die VEBA-Immobilien AG, eine Tochter des nordrhein-westfälischen Strommonopolisten VEBA, der — siehe BEWAG-Privatisierung — vorzügliche Kontakte zum Berliner Senat unterhält. Bausenator Kleemann wollte denn damals auf eine öffentliche Ausschreibung verzichten - wegen des guten Leumunds des größten privaten Immobilienbesitzers in Deutschland. Das Geschäft mit der GEHAG platze jedoch, nachdem im Juli der Vorstandsvorsitzende und das halbe Management der VEBA-Immobilien AG wegen Korruption in Untersuchungshaft genommen wurde. Jetzt sollen die Aktienpakete der GEHAG im Bieterverfahren ausgeschrieben werden, die VEBA ist nur noch einer von mehreren Interessenten.

Die Veräußerung der GEHAG ist jedoch nur Testlauf. Geplant ist wesentlich mehr: Die Umwandlung in Aktiengesellschaften und der Gang an die Börse. Berliner Senatspolitiker träumen jedenfalls öffentlich von einer breiten Streuung der Geschäftsanteile. Es droht aber, daß sich Konzerne und Großbanken ganz direkt ihren Anteil an der künftigen Bundeshauptstadt sichern werden. Denn der politische Einfluß der Wohnungsbaugesellschaften ist nicht unerheblich — vor allem auf Bezirksebene, da wo z.B. Baugenehmigungen erteilt werden.

Vor dem Gang an die Börse jedoch, müssen die Gesellschaften fit gemacht werden: weg aus dem Mief der Gemeinnützigkeit und hin zum "shareholder value", zur reinen Profitabilität. Da stören u.a. Belegungsrechte der öffentlichen Hand. Die werden deshalb gerade abgebaut. Zudem sind die Gesellschaften noch viel zu klein. Fürs internationale Börsenparkett bracht man imposantere Bilanzen.

Weitere "In-Sich-Verkäufe"

Und richtig, der Konzentrationsprozeß ist in vollem Gange: da fusioniert die Wohnungsbaugesellschaft Treptow mit der Stadt und Land, die DEGEWO kauft die Köwoge, die Wohnungsbaugesellschaft Pankow kauft die aus Weißensee und wird an die Gesobau verkauft, die Wohnungsbaugesellschaft Mitte kauft die BEWOGE usw. Rund 120 Mio. DM zahlte zum Beispiel die WBM für den sogenannten "In-Sich-Verkauf" der BEWOGE an das Land Berlin. Um das Geld wieder einzunehmen, verkauft jetzt die WBM Haus für Haus ihren gesamten Altbaubestand — zumeist an Steuerabschreiber, die sanieren, umwandeln und die Wohnungen als Eigentumswohnungen verkaufen. Die Mieter bleiben außen vor.

Auch Konzentration bringt also Geld in die Kasse. Von 22 eigenständigen Wohnungsbaugesellschaften im Jahr 1993 sind heute nur noch 14 vorhanden. Und der Konzentrationsprozeß geht weiter. Gerade hat die Finanzsenatorin angekündigt, daß noch weitere solcher "In-Sich-Verkäufe" notwendig sind, um das Haushaltsziel 1997 zu erreichen.

Privatisierung an Steuerabschreiber

Weitere Mrd. sollen über die Privatisierung von Wohnungen an Mieter eingenommen werden. Alle bisherigen Erfahrungen in West- wie Ostberlin belegen jedoch, daß die übergroße Mehrheit der Mieter kein Interesse am Kauf der eigenen Mietwohnung hat. So würde der ursprünglich geplante Verkauf von 15% der Wohnungen an die Mieter nach Aussagen der Wohnungsbaugesellschaften 10 bis 15 Jahre dauern. Jetzt soll aber 30% privatisiert werden — und zwar schnell, damit Geld in die Kasse kommt. Das bedeutet: Verkauf von weiteren Wohnanlagen an sogenannte Zwischenerwerber, wahrscheinlich sogar ohne besonderen Kündigungsschutz für die Mieter. Die Wohnungen werden umgewandelt und an gut situierte Dritte verkauft, die von den Sonderabschreibungen profitieren. Nicht die eigengenutzte Wohnung, sondern die Zweit- oder Drittwohnung wird dabei subventioniert. In solchen Wohnanlagen empfinden Mieter ihre persönliche Wohnsituation zumeist als unsicher. Es besteht Verdrängungsangst: Viele Mieter ziehen aus, wenn sich eine Alternative bietet.

Wie wäre es mit Genossenschaften?

Es geht aber auch anders: in Mitte, Hellersdorf und Prenzlauer Berg haben sich Mieter zusammengetan, Genossenschaften gegründet und ganze Wohnquartiere im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes gekauft. Die ersten Erfahrungen sind durchaus ermutigend. Die Wohnungen der Genossenschaft "Mendelssohn-Viertel" in Prenzlauer Berg zum Beispiel sind sehr begehrt. Vor allem aus der direkten Umgebung ziehen Mieter gerne hierher. Sie empfinden sich, so scheint es, in der Genossenschaft vor Verdrängung weitgehend geschützt. (Hierzu würde sich eine durchaus kontroverse Diskussion empfehlen, siehe auch ME 263, d. R.)

Christof Schaffelder


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