MieterEcho
Nr. 263 - Juli/August

Nachhaltiges Planwerk Innenstadt?
Ein Plädoyer für die Beteiligung von Basisgruppen an der Diskussion um den Masterplan

        

Seit Monaten wird nun in Berlin über das Planwerk Innenstadt, auch als "Masterplan" bekannt, diskutiert. Als Ziel des Planwerks nennt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: die "Identifikation der Berliner Bevölkerung mit ihrem Zentrum" herzustellen, die bisher als offenes Problem anstehe. Schließlich soll damit die "Basis für eine breite Diskussion über Grundsatzfragen der Stadtentwicklung" geschaffen werden. Für die Notwendigkeit eines solchen großen Wurfes werden zudem gerne Bezüge zur nachhaltigen Entwicklung hergestellt. Der Senator selbst erinnert an die Beschlüsse der II. UN-Weltsiedlungskonferenz (Habitat II), die vor ziemlich genau einem Jahr in Istanbul stattfand. Das Planwerk als ein Schritt zur Umsetzung der Habitat-Beschlüsse oder der Agenda 21, dem Handlungsprogramm für eine nachhaltige Entwicklung?

Nachhaltige Modernisierung der Stadt

"Sustainable development", im Deutschen nachhaltige, dauerhafte oder zukunftsfähige Entwicklung wird zumeist auf den sogenannten Brundlandt-Report zurückbezogen. Er definierte sie als eine "Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können". Sustainable development wird schließlich 1992 zum Schlüsselbegriff des Rio-Gipfels (UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung) und der Agenda 21. Sustainable development umfaßt drei Dimensionen: neben der ökologischen, auch eine ökonomische und soziale. Entwicklung soll ökonomisch dauerhaft sein, sowie auf sozialer Gerechtigkeit fußen. Das heißt, ökologische Fragen, die nach wie vor am ehesten mit dem Begriff in Beziehung gebracht werden, sind direkt mit Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung verknüpft. Darin liegt der eigentliche Fortschritt in der Debatte und die Stärke des Begriffs.

Der Begriffsdefinition liegt jedoch ein breiter internationaler Konsens zugrunde, sie kann also nicht besonders konkret sein. Die Folgediskussion seit 1992 zeigt dann auch, daß "nachhaltige Entwicklung" zwar erfreulicherweise in den Diskurs unterschiedlicher gesellschaftliche Gruppen Eingang findet. Allerdings wird seine geringe Definitionsschärfe auch zum Problem: Deutsche Chemie- und Pharmakonzerne bezeichnen ihre Produktion als Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, die Bundesregierung sieht ihre aktuelle Politik ganz im Lichte nachhaltiger Entwicklung und Umweltverbände und entwicklungspolitische Organisationen drängen auf eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Der Begriff wird zum "Alleskleber" oder "Containerbegriff". Auf politischer Ebene dient "Nachhaltigkeit" immer mehr als Strategiebegriff gesellschaftlicher Modernisierung. So wird er überwiegend bei den Grünen und Teilen der SPD instrumentalisiert. Neuestes Beispiel in Berlin: Das Planwerk von Senator Strieder. Der Senator bringt es selbst zum Ausdruck: "Zur nachhaltigen Entwicklung gehört im Berliner Kontext die Modernisierung der Stadt und ihrer Infrastruktur" (im Grünstift, 4/97). Inzwischen wissen wir, daß damit die Anbindung neuer Verkehrstechnologien (Transrapid) ebenso gemeint sein kann, wie die

Privatisierung der städtischen Betriebe.

Sicherlich setzt eine nachhaltige Stadt eine bestimmte Dichte und Nutzungsmischung voraus, sonst können Flächenexpansion und Verkehr, also Ressourcenverbrauch nicht unter Kontrolle gehalten werden. Einigen Leitsätzen des Planwerks kann also zunächst nicht wiedersprochen werden. Tatsächlich erscheint es erforderlich, entgegen den Trends der bisherigen Siedlungsentwicklung in Deutschland zu propagieren: "Innenentwicklung muß vor Außenentwicklung" gehen und "Nachhaltigkeit hat Dichte zur Voraussetzung". Dies geht auch konform mit den Ergebnissen der Habitat II. Allerdings: Dichte hat eine soziale Grenze. Hohe Dichte erfordert ganz besondere Qualitäten an öffentlichem Raum, an Grünflächen, an Organisation des Zusammenlebens im Quartier. Konzepte für deren Gestaltung müssen unmittelbar mit Überlegungen zur Verdichtung gekoppelt sein. Quartiere sind nicht von oben planbar, sie müssen die Chance haben zu wachsen. Dafür muß die Planungen flexible Rahmenbedingungen setzen.

Berlin ist eine Mieterstadt und hat eine recht hohe Dichte mit einem respektablen Wohnanteil auch in der Mitte. Der Trend zeigt aber, daß es viele ins Umland zieht. Noch ist das Eigenheim auf der "grünen Wiese" der Traum insbesondere für Familien mit Kindern. Und noch gibt es genügend, die sich diesen Traum verwirklichen können. Das Planwerk beansprucht, Gegenkonzept für die Zersiedelung des Umlandes zu sein, und es ist natürlich auch der Versuch, Potentiale für Berlin zu entwickeln, um den Verlust steuerzahlender Bürger nach Brandenburg auszugleichen. Eigentlich der richtige Weg und allemal besser, als reine Wohnquartiere (Karow-Nord) am Rand der Stadt zu entwickeln. Entscheidend wird aber sein, ob die Qualität in Mitte gesteigert werden kann, um Wohnen dort wieder attraktiver zu machen.

Beim Planwerk bleibt unklar, wie die Bewohnerinteressen überhaupt systematisch berücksichtigt werden sollen und wer die neuen Mieter in der verdichteten Mitte sein sollen. Hier sind Mieten zu erwarten, die voraussichtlich nur von gehobenen Einkommensschichten bezahlt werden können. Ehe damit eine weitere Gentrifizierung innenstädtischer Wohnbereiche eingeleitet wird, warum nicht vom Bestand ausgehend klären, was zur Steigerung der Lebensqualität der jetzigen Bewohner Not tut?

Die Bedeutung des Verfahrens

Von der Stärkung verschiedener gesellschaftlicher Akteure (major groups) war in der Agenda 21 die Rede. In der Habitat-Agenda ist nachzulesen, daß Partizipation eine Voraussetzung für nachhaltige Stadtentwicklung sei. Auch insofern sollte dem Verfahren eines Planwerks, das mit dem Anspruch auftritt, nachhaltige Entwicklung anzustreben, Bedeutung beigemessen werden.

"Dieses Planwerk ist ein Diskussionsanstoß, eine Strategie, und versteift sich nicht auf einzelne Flächen, sondern ist der erste Schritt eines komplizierten Prozesses zur stadträumlichen Neuordnung der deutschen Hauptstadt, an dessen Anfang wir stehen." (In: Planwerk Innenstadt Berlin. Ein erster Entwurf" sic!, S.8) Nun kann man nach der Hauptstadtplanung, der Gestaltung der Friedrichstraße und den Veränderungen am Potsdamer Platz darüber streiten, ob man 1997mit einem Prozeß der Neuordnung der Stadt tatsächlich noch am Anfang steht. Dies soll aber hier nicht weiter vertieft werden. Präsentiert wurde das Planwerk nicht gerade wie ein erster Entwurf. Die Art, in der die mit der öffentlichen Präsentation betrauten Personen auftreten, kann eben einen gan-zen Prozeß determinieren. Beschrieben wird das Planwerksverfahren als "zweigleisig", zunächst öffentliche Diskussionen und in einem zweiten Schritt "Planungswerkstätten zu lokalen Vertiefungsbereichen". Ein Konzept zur breiten Partizipation der Bürger (nicht nur der unmittelbar betroffenen) und über Fachöffentlichkeit und Bezirksinteressen hinaus liegt damit aber noch nicht auf dem Tisch. Einzelelemente eines diskursiven Verfahrens zur zukünftigen Stadtentwicklung sind erkennbar, aber wieviel an Mitsprache ist tatsächlich gewollt? Unklar bleibt, was aus den Planwerksdiskussionen schließlich wirklich in der weiteren Planung Berücksichtigung findet? Wer wird darüber entscheiden?

Was nachhaltige Stadtentwicklung konkret vor Ort für Berlins Mitte aber auch für Berlin/Brandenburg heißen kann, das kann kaum die Verwaltung allein feststellen. Ein ernstzunehmendes "Ringen um ein ganzheitliches städtebauliches Konzept" erfordert ein Experiment des breiten Bürgerdialogs unter Einbeziehung unterschiedlichster gesellschaftlicher Akteure wie Mieterorganisationen, Stadtteilinitiativen, Nichtregierungsorganisationen. Der Bedeutung der weitreichenden Planwerksziele müßte dieses Experiment des Stadtdialogs entsprechen. In dieser Hinsicht ist bisher die Herausforderung, der sich Senator Strieder stellen müßte, noch unterschätzt worden.

Veit Hannemann


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