MieterEcho
Nr. 263 - Juli/August

Aktion für eine offen Innenstadt
Nicht nur Berlin wird auf konsumfreundlich getrimmt

        

"Hunderte picknickt!" - Demonstrativ mit Kaffeekannen und Frisbyscheiben traf man sich auf dem unlängst privatisierten Los-Angeles-Platz in Charlottenburg. Ein Ort, an dem eigentlich nichts mehr ohne die Zustimmung privater Sicherheitskräfte geschehen darf, wurde zumindest kurzfristig wieder für die Öffentlichkeit gewonnen. Ein paar Tage später verwandelt sich plötzlich die Automatenhalle der Sparkasse am Hackeschen Markt in einen Tanzsaal für Technoliebhaber. Der Rhythmus der Stadt pulsiert für wenige Stunden, bis die Polizei wieder für ordnungsgemäße Ruhe sorgt. Ein Bauwagen aus einer Wagenburg gerät ins Schwimmen. Seine Bewohner paddeln fröhlich über die Spree, beobachtet von den allgegenwärtigen, einmal mehr irritierten Ordnungshütern. Nur drei von vielen Veranstaltungen der "Innenstadt-Aktionswoche gegen Ausgrenzung, Privatisierung und Sicherheitswahn", die vom 2. bis 8. Juni 1997 in Berlin und zahlreichen anderen Städten in Deutschland, der Schweiz und Österreich stattfand.

Diese Aktionswoche stellte den Versuch dar, auf der Basis der unterschiedlichsten Initiativen - das Spektrum reichte von Antifa- und Antirassistischen Gruppen, SozialwissenschaftlerInnen, SozialarbeiterInnen, feministischen Gruppen bis in den Kunstbereich - auf Umstrukturierungen in den Innenstädten aufmerksam zu machen und diese zu attackieren. Im Vorfeld der Aktionswoche hatte es zwei überregionale Treffen (Oktober 1996, Berlin und Januar 1997, Frankfurt a. M.) gegeben, auf denen sich VertreterInnen mehrerer Städte aus den unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen getroffen hatten, um über die Entwicklungsprozesse in den verschiedenen Städten, ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede zu diskutieren. Auffällig war, daß Prozesse wie die Privatisierung von Konsumzonen und öffentlicher Bereiche, der Boom privater Sicherheitsdienste und die Vertreibung mutmaßlicher Nicht-KonsumentInnen aus den Innenstädten zwar unterschiedliche lokale Ausprägungen, aber dennoch eine vergleichbare Struktur aufweisen - und zwar sowohl in den mittleren als auch in den großen Städten. Festgestellt wurde, daß den Innenstädten in verschiedener Hinsicht wachsende Bedeutung zukommt:

1. werden sie für die Wirtschaft zunehmend als Anlagesphäre interessant. Banken, Versicherungsfonds und Konzerne legen große Teile ihres Kapitals in Grundstück- und Immobilienbesitz wie in Berlin beispielsweise am Potsdamer Platz an. Dabei verändern die Baumaßnahmen Bild und Charakter der Innenstädte. Zunehmend favorisiert werden passagenartige Bauformen, bei denen öffentliche und private Bereiche ineinander übergehen. Der Besitzer genießt Hausrecht und kann so den Zugang zu öffentlich erscheinenden Bereichen kontrollieren. Deutlich wird dies etwa bei der Deutschen Bahn AG, die in ihren Bahnhöfen nun ihr Hausrecht wahrnimmt und allein im Januar 1997 im Bahnhof Zoo ca. 5800 Hausverweise ausgesprochen hat. In den Bereichen, wo die Stadt schon vorhanden ist (Kurfürstendamm, Tauentzienstraße, Breitscheidplatz), geraten in zunehmenden Maße auch öffentliche Orte unter diesen Druck. Hier patrouillieren verstärkt Sicherheitsdienste, bemühen sich Einzelhandelsvereinigungen um den Kauf öffentlicher Straßen und Plätze, beziehungsweise fordern sie die Stadt auf, mittels polizeilicher Sondereinheiten "konsumabträgliche Situationen" zu verhindern. Da sich die Präventionsstrategie der Geschäftsleute vor allem an der Optimierung von Betriebssicherheit und Umsatzzahlen orientiert, operieren die privaten Sicherheitskonzepte mit einer Vorstellung, bei der bereits die Möglichkeit abweichenden Verhaltens unterbunden werden soll.

2. wird dieser Prozeß noch von der städtischen Politik unterstützt und verstärkt. Die einzelnen Städte definieren ihre neue Rolle als Förderer optimaler "Standortbedingungen". Das geschieht etwa durch den Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, eine angebotsorientierte Flächenpolitik und durch verschiedene Formen der direkten und indirekten Subventionierung. Umgekehrt wird all das abgebaut, was im wesentlichen als "sozialer Ballast" aufgefaßt wird. Damit wird die gesellschaftliche Spaltung noch verstärkt und räumlich zementiert. Unter den Bedingungen verschärfter Konkurrenz zwischen den einzelnen Städten um Investitionen, TouristInnen und kaufkräftige Bewohnerschaft werden die sogenannten "weichen Standortfaktoren", welche mittels breit beworbener Imagekampagnen auch überregional das Bild der jeweiligen Stadt prägen sollen, immer wichtiger. Die Innenstädte werden hierbei auf die Bedürfnisse einkommensstarker Schichten zugeschnitten, vermeintlich imageschädigende, nicht ins Bild passende Menschen, wie Arme, BettlerInnen und jugendliche MigrantInnen werden zunehmend verdrängt.

3. und das gerät oft in Vergessenheit - Die Innenstädte sind die wichtigsten Aufenthaltsräume der zunehmend ausgegrenzten Gruppen; sei es als Arbeitsplatz, als Treffpunkt für jugendliche MigrantInnen, als Rückzugsraum, als Lebensort für Obdachlose oder als Wirtschaftsraum für Teile der Schattenökonomie wie Straßenhandel, Straßenmusik o.ä. Neben Büros und Geschäften gibt es dort immer auch ein dichtes Netz an sozialen Angeboten für marginalisierte Bevölkerungsgruppen, wie akzeptierende Drogenhilfe, Gesundheitsversorgung, psychosoziale Beratung, Nahrung, Kleidung, Unterkunft. Straßen und Plätze sind zudem zentrale Orte für Demonstrationen einer kritischen "Gegenöffentlichkeit".

Diese ineinander verwobenen Veränderungen öffentlich zu machen und zu attakieren, hatte sich die Innenstadtkampagne zur Aufgabe gemacht. Allerdings setzt eine Kritik, die bei der Forderung nach einem Zugangsrecht zum öffentlichen Raum für alle stehenbleibt, an einem zu späten Punkt des Prozesses an. Sie vernachlässigt den Vorgang, mit dem Ausgegrenzte erst zu solchen gemacht werden: das Zusammenspiel von ökonomischer Ausbeutung, sozialer Ausschließung und repressiver Kontrolle. Eine solche Forderung nach einem Zugangsrecht zum öffentlichen Raum für alle, hat längst über die süßlichen Floskeln von "Urbanität" und "kultureller Vielfalt und Differenz" ihren Platz in der städtischen Politik gefunden. Sie ist die notwendige Rückseite der Medaille der schönen neuen Dienstleistungsstadt. Hinter ihr verbirgt sich die andere Hälfte der "Dienstleistungsgesellschaft": Die schlechtbezahlten und ungeschützen "informellen" Arbeitsbereiche, die durch geschlechtsspezifische und ethnische Spaltungen gekennzeichnet sind, wie für Reinigungskräfte, Küchenpersonal, BotInnen, Rosenverkäufer, Kindermädchen etc. Die Illegalisierung und damit einhergehende Rechtlosigkeit macht insbesondere MigrantInnen zu einem wichtigen und erwünschten Bestandteil städtischer Ökonomie. Angesichts dieser Situation, in der die "Vielfalt der Lebensstile" bei gleichzeitig sich verschärfender sozialer Ungleichheit zelebriert wird, kann ein Politikansatz leicht ins Leere laufen, der vor allem auf Differenz und eigene Freiräume setzt.

Abgesehen von regelmäßigen Demonstrationsausflügen hat sich die Linke (zu der sich die an der Innenstadt-Aktion Beteiligten zählen) für die Innenstadt bislang wenig interessiert. Sie galt (und tut es heute noch oft) als Sphäre des Konsums, der Repräsentation, als Bereich all dessen, gegen das sich abgegrenzt wurde. Mit den Innenstadtaktionen sollte der Versuch unternommen werden, die unterschiedlichen Schichten innerstädtischen Lebens wahrzunehmen, Prozesse der Veränderung in den Innenstädten und ihre Bedeutung für die ganze Stadt offen zu legen und gleichzeitig zu attackieren. Es ist dabei wichtig, gerade die nicht vorgesehenen und oft übersehenen Nutzungsformen dieser Räume wahrzunehmen. Jede dieser Nutzungen trägt zu einer Umwertung der gerne als "Visitenkarten der Stadt" hergerichteten Räume bei. Die City ist mitnichten nur "cleane" Konsummeile oder protziges Dienstleistungszentrum, sondern der Ort, an dem Auseinandersetzungen um unterschiedliche und sich widersprechende Nutzungen und Bedeutungen stattfinden. Die Innenstadt-Kampagne soll dazu beitragen, den sich ausbildenden Konsens zu stören und an abweichenden Definitionen darüber was "Stadt" ist, mitzuwirken.

Walter Jahn


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