MieterEcho
Nr. 263 - Juli/August

Der alte und der neue Golf
Eigentümerorientierte Genossenschaften - Tünche der Privatisierung

        

Mit großen Schritten verändert sich das Bild der Stadt. Die Emanzipation von dem Mieter ist erklärtes Ziel der Verantwortlichen von Land und Bund, über Parteigrenzen hinweg. Dabei bedient man sich sämtlicher zur Verfügung stehender Begrifflichkeiten. Von der konservativen Eigentumsideologie, von Scholle, Grund und Boden, von Verantwortung durch Besitz und der Verwurzelung mit der Region ist daher genauso die Rede wie von selbstverwaltetem Mietereigentum und sozialem Engagement im gemeinschaftlichen Wohnen. Letzteres zielt eher auf die "aufgeklärte oder fortschrittliche" Öffentlichkeit ab. Im Ergebnis ist es jedoch in jedem Fall das gleiche: Erwerb von Wohneigentum wird attraktiv gemacht.

Hierbei spielt die Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbestandes in Ost- und in Westberlin eine maßgebliche Rolle. Längst wird nicht mehr gefragt, warum eigentlich die öffentlichen Wohnungsverwaltungen 15 Prozent ihres Wohnungsbestandes an Mieter verkaufen, weitere 20 Prozent an Investoren wie VEBA verschachern sollen und sozialer Wohnungsbau, oder sozialverantwortliches Bauen der öffentlichen Gesellschaften nicht mehr möglich sei. Es gilt, einem Axiom gleich.

Es wird sogar unterstützt: Das sogenannte Altschuldenhilfegesetz, auf dessen Grundlage sich der Verkauf in Ostdeutschland vollzieht, wurde vor allem auf Drängen der Verantwortlichen sowohl bei Bündnisgrünen, beim Bund der Deutschen Wohnungsverwaltung als auch bei den VertreterInnen von Sanierungsträgern wie Stattbau in Berlin, hinsichtlich der Bildung von genossenschaftlichem Eigentum modifiziert. Seit Anfang des Jahres können die ostdeutschen Wohnungsbaugesellschaften auch an Eigentümergenossenschaften verkaufen. Und just diese Eigentümergemeinschaften werden sowohl von Stattbau bis hin zu VertreterInnen von Bündnis 90/Die Grünen hofiert. Was die Wortschöpfung mit dem genossenschaftlichen Anliegen, unveräußerliches Gemeineigentum zu bilden, zu tun hat, erklärt Thomas Bestgen, Unternehmensberater und geschulter Diplom-Kaufmann in einer Genossenschaftsbank: "Diese eigentümerorientierten Genossenschaften haben mit dem Prinzip der traditionellen Wohnungsbaugenossenschaften soviel zu tun wie der alte Golf mit dem neuen." (Für nicht Autoexperten: das neue Modell des "VW-Golf" hat mit dem alten nur noch den Namen gleich.) Auch bei den Genossenschaften bleibt nur das Etikett. Und ein neues Arbeitsfeld für Unternehmensberater und Sanierungsträger.

Zur Zeit berät Bestgen MieterInnen der Charlottenburger Wohnungsbaugesellschaft W.I.R. hinsichtlich ihrer zum Kauf stehenden Wohnungen rund um den Klausener Platz. Die sogenannten eigentümerorientierten Genossenschaften sollen sich auch in Westberlin bzw. der gesamten Bundesrepublik durchsetzen. Für Bestgen sind sie ein zukunftsträchtiges Modell. Hier kann ohne großen Verwaltungsaufwand direkt den Wünschen der BewohnerInnen entsprochen werden. Die kleinen Genossenschaften stehen für fortschrittliche Selbstverwaltung und Eigenverantwortung. Die alten großen Wohnungsbaugenossenschaften mit dem Verwaltungsaufwand von bis zu einem Viertel der Einnahmen sieht er, ähnlich den Gewerkschaften, kurz vor ihrem Aussterben als Saurier. Zukünftig wollen die BewohnerInnen selber und im Ehrenamt die Verwaltung übernehmen. Dabei wird einfach so getan, als ob nicht jede Wohnungsbaugenossenschaft so angefangen hätte und unentgeltliche Leistungen meist aus finanziellen Erwägungen notwendig sind. Also ein Kriterium, daß nicht zwingend mit dieser neuartigen Wohnungsbewirtschaftung einhergehen muß.

1993 sah Franziska Eichstädt-Bohlig, damals Vertreterin von Stattbau und im Bezirk Friedrichshain an der Erarbeitung eines EU geförderten Armutsprogramms beteiligt, im Verkauf von öffentlich verwalteten Wohnungen an Genossenschaften die Chance, auch Armen und Bedürftigen langfristig ihr Wohnen in Friedrichshain zu sichern. Gleichzeitig polemisierte sie gegen die Selbstverwaltete Ostberliner GenossInnenschaft (SOG; siehe ME 262), die sich nicht nur um besetze Häuser bewarb und ebenfalls an diesen öffentlichen Mitteln interessiert war. Die SOG - so ihre Kritik - würde sich aus der Besetzernische heraus eben nicht um die spezifische Friedrichshainer Mischung kümmern und die Armen des Bezirks vernachlässigen. Seit diesem Jahr gibt es die, von Stattbau maßgeblich geförderte, eigentümerorientierte Genossenschaft "FriedrichsHeim e.G.". Gründungsmitglieder sind bis auf wenige Ausnahmen MitarbeiterInnen und Experten von Stattbau. Und auch die einfachen Mitglieder stellen eben nicht das typische Armutsklientel dar, für das Eichstädt-Bohlig noch 1993 vehement eintrat.

Genossenschaftsmitglieder waren auch Mitte des letzten Jahrhunderts, also zur Gründung der ersten Wohnungsbaugenossenschaften, vor allem Facharbeiter oder Angestellte - und in der Regel männlich. Sie konnten es sich leisten, den Mietskasernen zu entfliehen. Und sie mußten für die größere, hellere Wohnung, die Gemeinschaftsräume, die bessere Luft und das Grün vor dem Haus um die Jahrhunderwende und in der Weimarer Republik sogar stärker in die Tasche greifen, als die GenossInnen, die seit Bestehen der Bundesrepublik Mitglied werden. Mit anderen Worten: für die -rmsten der Armen waren Wohnungsbaugenossenschaften zu keiner Zeit geplant.

Es verschwinden die Armen nicht nur aus dem Stadtbild, indem sie von der Straße verbannt werden, sondern auch aus dem Denken. Auch Normalverdiener, Mieter verschwinden aus dem Bewußtsein als Bewohner der Stadt. Unter dem Banner der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung spricht auch Thomas Bestgen den kleinen Genossenschaften das Wort. Wenn bei Eigentümergenossenschaften sich einzelne auf Kosten der Gemeinschaft bereichern können und wenn schon eine einfache GenossInnenmehrheit den Abkauf ihrer Wohnungen von der Genossenschaft durchsetzen kann, so ist das für Bestgen eher ein Beleg dafür, daß die Bedürfnisse der BewohnerInnen maßgeblich sind. Ihm ist nicht einsichtig, warum, einmal Mitglied einer Genossenschaft geworden, man für immer diese gemeinschaftlichen Ziele verfolgen muß. Auf die Idee, daß der- oder diejenige die Genossenschaft auch verlassen könnte, anstatt mit dem Erwerb der Wohnung der Gemeinschaft Boden zu entziehen, kommt Bestgen nicht.

Es geht nur um ein bestimmtes Klientel. Jene "fortschrittlichen Kräfte" sehen die Genossenschaft als die günstigste Variante für Mieterkäufer. Direkt am Charlottenburger Schloß beispielsweise veräußert die W.I.R. insbesondere die Wohnungen bzw. Häuser, die während der sozialverträglichen Sanierung im Kiez im Rahmen der sozialen Stadterneuerung gerade unsaniert blieben. Hier fanden sich die billigen Umsetzwohnungen mit einfacher Ausstattung. Die Mieten sind entsprechend günstig und, so individualisiert Bestgen das Problem, höhere Beträge seien für die BewohnerInnen durchaus tragbar, vorausgesetzt sie beenden ihr Studium oder reisen nur noch einmal im Jahr nach Indien. Damit verschwindet aber zukünftig billiger Wohnraum und die Möglichkeit diese Wohnungen anzumieten. Die Genossenschaftspromoter stellen Mietsteigerungen von 4 DM auf ca. 7,20 DM jenen 15 DM gegenüber, die ein Investor verlangen würde, und weisen ausdrücklich darauf hin, daß Einlagen in die Genossenschaft als Kapitalanlage gefördert werden. Erstmalig seit bestehen von Genossenschaften greift hier die sogenannte Eigenheimzulage, sowohl für Anleger als auch für Mieter.

Das teilt Wohnungsgenossenschaften zukünftig in zwei Lager: Denn die Förderung wird ausdrücklich an die Eigentumsorientierung geknüpft. Hans-Jürgen Hermann vom Vorstand der 1892 e.G., einer aus der Arbeiterbewegung stammenden, traditionsreichen Berliner Wohnungsbaugenossenschaft, sieht genau darin das Problem: Hier werden in zwei Richtungen Begehrlichkeiten und Egoismen geweckt. Der Genossenschaftsverband insgesamt befürchtet, daß aufgrund der Förderung sämtliche Satzungen verändert werden. Gibt es aber erst einmal die Möglichkeit ihre Wohnungen als Eigentum herauszulösen, wird die Solidarität unter den Bewohnern von attraktiven und einfachen Wohnungen unterhöhlt - gleich einer Zerschlagung mittels trojanischem Pferd.

Es wird deutlich, daß bei diesen sogenannten "bewohnernahen Genossenschaften" wie auch bei deren VertreterInnen, kein fortschrittlicher Gedanke zu entdecken ist - auch wenn sie für Mieter als kleineres Übel daherkommen. Sie sind nur an einer bestimmten Käuferschicht ausgerichtet. Wenn aber kleine Mieter sich als Eigentümer aufspielen können soll, dann ist der Vergleich zum Golf insofern naheliegend, als daß mit dem Klein- oder Zweitwagen die Individualisierung im Straßenverkehr vorangetrieben wurde. Die Straße, der individuelle Tummelplatz für kleine Freiheiten - wird künftig auch auf die Wohnung und Wohnen ausgedehnt. Kaufen und Verkaufen, wer es sich leisten kann, wird die Preisspirale ankurbeln - und wer sich das nicht leisten kann, über den wird nicht mehr geredet. Eines wird aber auf keinen Fall neu geschaffen: bezahlbarer Wohnraum!

ok


MieterEcho-Archiv | Inhaltsverzeichnis Nr. 263

HTML-Auszeichnung © 1997 U. Pieper