MieterEcho
Nr. 263 - Juli/August

Statt Global Ciy: Yuppie-Town

        

Vornehmlich amerikanische Supermärkte, aber nicht nur sie, werden mit einer Klangkulisse ausgestattet, funktionelle Musik oder Fumu genannt, deren Zweck es ist, in Verbindung mit angenehm leicht unterkühlt air-conditionierter Atmosphäre ein gedankenfreies Wohlbefinden zu erzeugen, in dem Barrieren gegen das werbebotschaftsgerechte Füllen der Einkaufskörbe kein kritisches Fundament zu gewinnen vermögen. Diese Musik ist weit davon entfernt, nur plattes Gedudel zu sein; sie ist Resultat ausgeklügelter psychologischer Verfahren zur Erhöhung von Akzeptanz.

Die Sprache der Stadtplaner scheint denselben Braintrusts zu entstammen oder doch zumindest ungemein erfolgreich deren Methoden zu kopieren. Funktionelle Sprache, die nichts mehr sagt, aber wie moderne Parfümreklamen den Eindruck von Exklusivität, von elitärem Luxus jenseits aller bedrängten und bedrohten Alltäglichkeit hervorruft, an dem scheinbar jeder teilhaben kann, der für einige Mark ein Fläschchen des Duftstoffes erwirbt.

Das "Planwerk" - der neugestylte "Masterplan" - aus dem Hause Strieder ist ein ganz besonders feinsinnig duftendes, verbales Klanggebilde, zelebriert in der Ausgabe Nr. 25 des Journal Stadtforum. Es geht um nichts anderes als: Fortschritt durch Flexibilität, um Modernität mit Tradition: Die Ablösung der Paradigmen des Städtebaus der Moderne. Ja mehr noch, es geht um Stadtaneignung durch Stadtdialog: Die Neuformulierung der Berliner Identität. Warum leuchtet sofort ein, denn der Städtebau des 20. Jahrhunderts forderte die Auflösung der Städte. Folglich wurde die Stadt als gewachsene Kulturform und Ort des kollektiven Gedächtnisses verleugnet. Heute bestimmt jedoch der Dialog mit den örtlichen Gegebenheiten den Umgang mit der Stadt als einer wesentlichen Lebensform.

Es bedarf der Stadtentwicklung durch Nachhaltigkeit, der Qualifizierung des öffentlichen Raumes durch Reurbanisierung, es sind neue Typologien für innerstädtisches Wohnen und Arbeiten heran zu züchten, neue Organisationsformen der Bodenwirtschaft und Bauherrenschaft zu entwickeln, um letztlich vermittels Stadtplanung durch Stadtmanagement für das historische Zentrum: die Qualifizierung der Stadttextur durch dialogischen Stadtumbau und für die City West: Die Qualifizierung der Stadttextur durch Stärkung von Netz und Knoten aufs Allereleganteste zu bewirken. Reklame ist viel, doch nicht alles, hinter ihrer Virtualität bildet ein Produkt die Schnittstelle zur Realität. Dieses Produkt läßt sich weniger verleugnen als die gewachsene Kulturform, Ort des kollektiven Gedächtnisses.

Seine Konturen durchdringen den Sprachbrei: Sozial geförderter Wohnungsbau wird im großen Umfang der vergangenen Jahrzehnte vorerst nicht mehr finanzierbar sein, wird beschönigend, denn ihm droht die gänzliche Streichung, verkündet. In der Innenstadt dagegen und nicht nur hier, muß die Entwicklung gekoppelt sein an neue Formen des Privateigentums - auch an selbstgenutzten Eigentumswohnungen - bei gleichzeitigem Abbau des Kommunaleigentums.

Nachhaltige Verdichtung

Peter Strieder, der sich gerne der neuen Politikergeneration - der Stadt- oder Politmanager - zurechnet, behält sich vor, wesentlich deutlicher auf den Punkt zu bringen, um den es in dem "Planwerk" geht: den Abschied von der "autogerechten Stadt",die Förderung des Wohnens in der Innenstadt und eine - Nachhaltigkeit genannte - Verdichtung.

Der Abschied von der autogerechten Stadt fiele kaum jemandem schwer, möglicherweise nur dem ehemaligen Konzernchef von Daimler-Benz Edzard Reuter, der frühzeitig nach der Wende den Ausbau der Magistralen und die Einschnürung der Innenstadt durch vielspurige Ringe angemahnt und sich selbst als einen Allparteienkandidaten für das Amt des regierenden Bürgermeisters zum Zwecke der Verwirklichung dieser Schreckensvisionen empfohlen hatte.

Wohnungsbau ist förderungswürdig nicht nur in der Innenstadt. Doch wenn man dort beginnen will, wird man kaum mit Widerspruch aus den Reihen der berliner Mieter zu rechnen haben. Büroräume werden in großzügigster Weise unter gigantischer Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen auf Halde gebaut, Mietwohnungen zu moderaten Preisen obwohl dringend nachgefragt verschwinden dagegen mehr und mehr vom Markt.

Diesen Irrsinn zugunsten des Wohnungsbaus zu stoppen, rechtfertigte auch Verdichtung und man bräuchte nicht nachhaltig zu nennen, was dann noch folgendermaßen kommentiert wird: Mit dem Stichwort Verdichtung ist keine Wiederherstellung der Wohn- und Lebensbedingungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gemeint, sondern ein Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten, die Herstellung einer interessanten und spannenden Nutzungsvielfalt von neuen Wohnungen, Gewerbe und Geschäften.....

Wie tröstlich! Hatte sich tatsächlich bereits die Vision von Mietskasernen, Untermietern und Schlafburschen in der Friedrichstraße aufgedrängt, so mag man spätestens dann beruhigt sein, wenn Herr Strieder erläutert, wie der Plan ins Werk gesetzt werden soll und wer Nutznießer sein wird: Natürlich kennen auch wir die Tendenzen der gegenwärtigen Entwicklung. Demographische und soziale Verschiebungen bieten aber die Chance, den Standort City zu stärken, wenn Eigentumsbildung ermöglicht wird.

Zur innerstädtischen Qualitätsverbesserung gehört auch die von uns angestrebte Parzellierung. ... Mit der Parzellierung verfolgen wir zwei Ziele. Zum einen die in der Verdichtung angelegte Revitalisierung und Urbanisierung der Innenstadt durch Nutzungs- und Mischungsvielfalt, zum anderen die Erhöhung der Eigentumsquote. Mit ihr wollen wir uns bewußt an kleine und mittlere private Bauherren wenden.

Zum halben Verkehrswert

Nein, nicht den Mietern dieser Stadt gilt die politische Fürsorge des für Stadtentwicklung etc. zuständigen Senators, sondern den potentiellen privaten Bauherren, die endlich - nachdem das Filetgrundstück Potsdamer Platz an Daimler Benz u.a. verschleudert worden ist - die Chance erhalten sollen, ebenfalls ihr Schnäppchen zu machen. Christdemokratische Unterstützung wird nicht nur gewährt sondern mit der Aufforderung verbunden, die Grundstücke höchstens zum halben Verkehrswert abzugeben.

Der kühne Vorstoß gegen die autogerechte Stadt, entpuppt sich als Teil der Beschaffungsmaßnahme solcher Grundstücke und dabei werden gleich mehr als zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Durch die Reduzierung des Privatverkehrs wird die Umwelt entscheidend entlastet werden können und durch den Rückbau der großen Magistralen lassen sich benötigte Flächen gewinnen.

Doch weil das längst nicht ausreicht, sollen bisher öffentlich genutzte Freiflächen gleichfalls umgewidmet werden. Der öffentliche Raum hat in jeder Form zu verschwinden, Diffamierung solcher Bereiche kommt da gerade recht: So sollen Grundstücke, die man bisher bestenfalls als überdimensionierte Hundeklos ansehen konnte, zu hochwerti-gen geschützten, städtischen (Hof-) Gärten werden.

Anstelle des obsoleten Konzeptes einer Global City tritt die Vision von Yuppietown. Der Modal split, ein allerdings noch höchst unvollständiges Verkehrskonzept, soll dafür sorgen, daß die Quote des Individualverkehrs zu öffentlichem Nahverkehr in dieser weiter aufgewerteten und privatisierten Innenstadt von bislang 62:38 auf 20:80 gesenkt wird. Für die auf den durch Rückbau der Magistralen frei werden Flächen anzusiedelnde soziale Mischung aus höheren Bundesbeamten und Modernisierungsgewinnlern des Neoliberalismus, werden die umweltentlasteten Straßen und Plätze, deren Freiraumqualität sich deutlich erhöht hat in vollen Zügen - sinnlich wahrnehmbar sein. Öffentliche Räume, die von Unerwünschten genutzt werden könnten, verschwinden entweder ganz, werden privatisiert oder doch zumindest privat überwacht (siehe dazu Volker Eick, Der diskrete Charme privater Sicherheit). Die mehr als reichlich vorhandenen Büroräume, dienen dem weit überdurchschnittlichen Einkommenserwerb und lassen sich auf kurzem Weg zu Fuß erreichen. Ebenfalls zu Fuß, ist die spannende und interessante Nutzungsvielfalt zu genießen, soll heißen, die Gattin eines Ministerialdirigenten z.B. kann problemlos am Nachmittag die schicke Kledasche einkaufen, mit der sie abends ebenso problemlos und von "sozial geringwertigen" Bewohnern dieser Stadt unbelästigt in die Oper unter den Linden spazieren kann.

Kein Platz für soziale Probleme

In der striederschen Innenstadt werden die besitzenden Stadtbürger unter ihresgleichen sein. Und nur für sie wird die von den Stadtplanern allen Bürgern dieser Stadt vorgegaukelte Illusion der Aneignung der wiedervereinigten Gesamtstadt jenseits allen Sprachnebels Realität werden. In dieser Stadt haben soziale Probleme keinen Platz mehr und folgerichtig, werden diejenigen, die sie verkörpern ausgeschlossen und an den Rand gedrängt. In dieser Stadt herrscht keine funktionale, dafür aber eine um so beklemmendere soziale Monokultur. Bereits jetzt verursachen die Nutzer der Friedrichstraße und der Linden, die Gäste der Nobelhotels Four Seasons, Adlon, Hilton etc. etc. den Eindruck, als hätte man die Herren Stimman, Klemann und Strieder sozial geklont.

Nichts für die Armen

Und die Frau Eichstädt-Bohlig, nicht zu vergessen, die sich in immer stärkerem Maße Verdienste um die Umwandlung der Mieterstadt Berlin in eine Eigentümerstadt zu erwerben beginnt, nicht müde werdend allen möglichen Schichten Eigentumswohnungen als glückseligmachend anzupreisen. So verwundert es nicht, wenn sie mit Herrn Strieder nicht nur konform geht, sondern ihn an Deutlichkeit um einiges übertrifft (Nachzulesen im Scheinschlag, Nr. 11/97).

Sie möchte keine amerikanische Stadt, was immer sie darunter auch verstehen mag, sie möchte auch keine sozialistische Stadt, wovon sie mit Sicherheit nicht allzu viel versteht, sie möchte keine sozialdemokratische Stadt, die sie als durch die großen Wohnungsbaugesellschaften geprägt versteht. Sie möchte eine Stadt, in der das Parzelleneigentum dominiert, vorausgesetzt, daß es für mittlere Einkommensschichten finanzierbar wird, und davon versteht sie offenkundig sehr viel. Daß das kein Konzept ist, wo die Ärmsten der Armen ihre Häusle bauen können - darüber müssen wir sowieso nicht reden, fügt die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag mit zynischer Offenheit hinzu.

Nein, das ist es mit Sicherheit nicht. Wen sie allerdings zu den mittleren Schichten rechnet und wen sie als Ärmste der Armen zu marginalisieren versucht, verdient gewürdigt zu werden: Selbstnutzende Wohnungseigentümer sind anspruchsvoll. Demzufolge beträgt die durchschnittliche Größe selbstgenutzter Eigentumswohnungen im Bundesdurchschnitt 111 m2, in Berlin immerhin noch ca. 100 m2. Selbst wenn es der Frau Eichstädt-Bohlig gelänge, die Grundstücke nicht nur zu dem von ihr vorgeschlagenen symbolischen Preis von ca. 1.000 DM/m2 zu verschleudern, sondern sie an Besserverdienende zu verschenken, ist kaum mit, Preisen unter 5.000 Mark für den Quadratmeter Wohnfläche oder eine halbe Million Mark für die Wohnung zu rechnen. Günstige Finanzierung vorausgesetzt, entstünden dadurch Wohnkosten von über 4.000 Mark im Monat. Um die monatlich aufzubringen, müßte man nach landläufiger Meinung in der Einkommensklasse der oberen 10 Prozent liegen, oder sagen wir einmal, über die Bezüge einer Bundestagsabgeordneten verfügen.

Alle anderen gehören offenbar im sozialen Weltbild der Frau Eichstädt-Bohlig zu den Ärmsten der Armen. Wie sozial ihr Weltbild ist, zeigt ihre Toleranz gegenüber "sozialistischen" Restpraktiken. Denn die ungeheuren Erschließungskosten der kleinparzellierten Grundstücke sollen nicht privatisiert werden, sie werden höchst sozial dem anonymen Kollektiv der hauptsächlich aus Mietern bestehenden Steuerzahler in Rechnung gestellt. Wahrscheinlich versteht sie so ihre Forderung: Ost- wie Westberliner müssen wieder in anderen Eigentumskategorien denken und den Appell an unser aller Intellekt, die Stadt der wirtschaftlich handelnden Bürger neu zu denken.

Ade, sozialer Wohnungsbau

Frau Eichstädt-Bohlig und Herrn Strieder verbindet nicht nur die gegenwärtig Leidenschaft für die Yuppiesierung Berlins. Auch ihre politische Vergangenheit zeigt Parallelen. Herr Strieder bekleidete das Amt des Bürgermeisters in dem Bezirk, in dem Frau Eichstädt-Bohlig mit den Stimmen der Ärmsten der Armen ihre politische Karriere als Baustadträtin beginnen durfte, in Kreuzberg. Zu befürchten ist, daß das "Planwerk" Grundlage ihres gemeinsamen Wirkens in einer zukünftigen rot-grünen Koalition bilden soll. Frau Eichstädt-Bohlig jedenfalls verspricht den wahlberechtigten Mietern bereits jetzt: Ich finde wir haben genug Sozialmieter gerade in Mitte, und die sollen ihren Status behalten. (Anm.: Es gibt in der gesamten ehemaligen DDR, einschließlich Mitte, nur den sozialen Wohnungsbau, der nach 1990 errichtet wurde. Das heißt, so gut wie gar keinen.)

Joachim Oellerich


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