MieterEcho
Nr. 263 - Juli/August

Kein Frieden in Friedrichshain

        

Der Räumung eines weiteren besetzten Hauses folgten wochenlange Polizeikontrollen im Kiez. Auch die letzte Wagenburg im Bezirk soll verschwinden.

In Fortsetzung der vorangegangenen Artikel im MieterEcho über besetzte Häuser und Wagenburgen, wollen wir Ihnen nicht die aktuelle Entwicklung vorenthalten. Was ist seitdem passiert? Am 21.5.1997 räumte die Polizei das Haus Niederbarnimstraße 23 in Friedrichshain. Vermummte Polizeisonderkommandos brachen um 7 Uhr morgens mit Äxten durch den Dachstuhl und Fenster im 2. Stock ein und schlugen teilweise die BewohnerInnen mit Schlagstöcken (im Polizeijargon "Schwarzer Dolmetscher") zu Boden. Berlin gewinnt mit dieser beeindruckenden Verschwendung von Steuergeldern über 20 Obdachlose mehr. Auch das ist Aufschwung Ost.

Das seit 7 Jahren besetzte Haus besaß eine Volksküche, die dreimal pro Woche Essen zu 2,50 Mark oder auch umsonst ausgab. An dem Tag der Räumung sollte ein unkommerzielles Videokino in Betrieb gehen, Plakate waren schon geklebt. Doch mit diesem "linken Terror" ist jetzt Schluß.

Wie effektiv geräumte Häuser hergerichtet werden können, läßt sich am Vorderhaus der Kinzigstraße 9 und an der Kreutzigerstraße 21 bewundern. Nach kurzer Zerstörung durch die Räumkommandos vor einem halben Jahr stehen die Häuser heute noch leer. Ein Erfolg für Recht und Ordnung, denn endlich haben die EigentümerInnen ihr so dringend benötigtes Spekulationsobjekt wieder. Wo kämen wir hin, wenn Häuser nur zum Wohnen da wären?

Das durch die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) verwaltete Haus Niederbarnimstraße 23 soll mit der Räumung wahrscheinlich potentiellen Käufern schmackhaft gemacht werden. Im mit Mitverträgen ausgestatteten Vorderhaus wurden seit Jahren leerstehende Wohnungen dem Verfall preisgegeben. Um einer sinnvollen Nutzung vorzubeugen, ließ die WBF Holzfußböden und Leitungssysteme herausbrechen. Vor diesem Schicksal wurden Seitenflügel und Hinterhaus sieben Jahre lang durch die Besetzung bewahrt.

Die WBF stellte bereits 1992 einen Räumungsantrag, jedoch wurde kein ziviler Räumungsprozeß eingeleitet. Den hätte die WBF bei geltender Rechtslage ziemlich sicher verloren. Trotz mehrfacher Anfragen bei der WBF zur Legalisierung des Hauses wird das Gerücht verbreitet, die BewohnerInnen seien nicht verhandlungsbereit gewesen. Als Reaktion erfolgte vielmehr eine Anzeige der Baupolizei wegen angeblicher Gefahr für Leib und Leben. Trotz erbrachter Gutachten über die Standsicherheit des Hauses und intakter Gasleitungen, wurden weitere Gutachten gefordert. WBF und Senat suchten händeringend nach Räumungsgründen. Das sind Methoden, wie wir sie von stadtbekannten Spekulanten kennen und wie sie auch von Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu (SPD) geduldet werden. (Übrigens schwor dieser in seinem Amtseid, gleichberechtigt für alle Bürger einzutreten. Aber manche sind eben gleicher, denn wer vorsätzlich Wohnraum instandbesetzt, hat in dieser Stadt nichts zu suchen).

An den zwei darauffolgenden Demonstrationen gegen Räumungen und Hauptstadtwahn haben sich viele BesetzerInnen und SympathisantInnen beteiligt. Einen Tag vor der Räumung wurde eine Wohnung in der Niederbarnimstraße 22 geräumt. Hier wohnte ein ganz normaler Mieter, der, ohne daß es jemand bemerkte, obdachlos wurde. Es geht nicht nur um besetzte Häuser, es geht um uns alle, die wir nicht 6000 Mark por Monat nach Hause tragen.

Aus der Presseerklärung von der Bezirksgruppe Friedrichhain: "Wir verurteilen aufs Schärfste, daß Innensenator und Polizeipräsident den Friedrichshainer Weg (siehe ME 262) ignorieren! Die Polizeiaktion stand in keinem Verhältnis zur Situation. Hier wurde lediglich wieder Macht demonstriert. Ebenso muß man sich fragen, wie die WBF als landeseigenes Unternehmen, also wie der Senat es vertreten kann, weitere Obdachlose zu produzieren. Wir sprechen uns entschieden gegen die Machtpolitik des Senates aus und fordern einen verantwortungsvollen Umgang mit den BewohnerInnen dieser Stadt!"

Und was tut diePolizei?

Bei jeder Gelegenheit wird in Friedrichshain das ASOG angewendet, das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Es besagt in etwa, daß bei Verdacht auf Straftaten willkürlich Personen erkennungsdienstlich behandelt werden und Hausdurchsuchungen stattfinden dürfen. Und diese Möglichkeit kostet die Polizei voll aus. Zum Beispiel wurde bei einer Durchsuchung eines besetzten Hauses in der Rigaer Straße auch gleich die angrenzende Schule miteinbezogen. Die Kinder wurden nach Hause geschickt, um mit ihren Eltern zur Identitätsstiftung wiederzukommen. Für viele bedeutete dies einen erzwungenen Schulausfall. Gratulation, Herr Schönbohm, auf sowas muß man erst einmal kommen! Die Durchsuchung des Hauses blieb natürlich erfolglos für die Polizei, denn Instandbesetzer sind in der Regel keine Kriminellen. Ein Hausbewohner wurde gar von der Polizei aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) heraus, an der er als Gast teilnahm, ohne Angabe von Gründen verhaftet. Weil ihm keine Straftat zugeordnet wer-den konnte, wurde er nach erkennungsdienstlicher Maßnahme wieder freigelassen. In der Folgezeit kam es vor, daß Friedrichshainer Bürger bis zu fünf Mal an einem Tag völlig grundlos festgenommen wurden. Ein Grillfest auf dem Boxhagener Platz mußte leider ausfallen, nein, nicht weil es regnete, sondern weil die Polizei wegen rund 15 Teilnehmern mit einer Hundertschaft anrückte und Grillzange, Bratwürste und Grillkohle beschlagnahmte. Der Bürgermeister ließ sich auch blicken und fand dies ganz in Ordnung, weil doch der Platz denkmalgeschützt sei. So könnten hier noch etliche Beispiele eines (un)sinnvollen Einsatzes unserer teuren Steuergelder mitgeteilt werden, die innerhalb kürzester Zeit in Friedrichshain verbraten wurden. Aber das sparen wir uns, um den Glauben an die Zukunft nicht ganz zu verlieren.

Eine kleine Spontandemo von ca. 20 FriedrichshainerInnen, die kostümiert lauthals durch den Kiez zog, macht darauf aufmerksam, daß man es sehr begrüße, daß endlich Sauberkeit und Ordnung auch in Friedrichshain einziehen. Die Teilnehmer wollten mehr Kontrollen und mehr Sauberkeit und taten dies auch auf der Frankfurter Allee quer über alle drei Fahrspuren kund. Sie wollten kontrolliert werden von der Polizei. Sie wollten ein Gefühl der Ordnung. Aber es war keine Polizei da. Die ließ sich erst nach 45 Minuten blicken und am Ende der Demo bekamen dann endlich auch alle ihre Kontrolle mit Körperberührung. Die Teilnehmer hatten schon Angst, man hätte sie nicht bemerkt.

Noch gibt es in Friedrichshain einige wenige instandbesetzte Häuser und eine Wagenburg, deren BewohnerInnen nicht müde werden, für die Legalisierung ihres Wohnraums zu kämpfen. Nach 7 Jahren harter Arbeit an den Häusern, etlichen Kosten für die BewohnerInnen und immer wiederkehrenden Polizeiaktionen können wir vor diesen Menschen nur den Hut ziehen. Der Kampf um bezahlbaren Wohnraum geht weiter, Herr Schönbohm. Die Wagenburg an der Schillingbrücke muß demnächst, nach dem Willen des Investors, für eine Hotelbebauung weichen. Ausweichgrundstücke wären vorhanden, teilweise sogar in Bezirkseigentum. Selbst der Bürgermeister lobte in der Vergangenheit die Wagenburg in den Medien. Nach einem jüngst erfolgten BVV-Beschluß ist die Umsiedlung möglich, die auch die Wagenburgler favorisieren. Nun jedoch ließ der Bürgermeister im Abgeordnetenhaus verlauten, daß dieses Gelände nicht in Frage kommen kann und er sich über den Beschluß hinwegsetzen wird. Das ist Politik in der Stadt.

Das Projekt Ökopark

Die Wagenburgler haben sich intensiv Gedanken über die Nutzung des möglichen Ersatzgeländes gemacht. Einen kleinen Teil wollen sie selbst bewohnen. Als Gegenleistung soll auf dem größeren Rest des Geländes ein Ökopark für die Bevölkerung entstehen und gepflegt werden. Er soll ein Amphitheater mit Sandbühne enthalten, wobei die bestehende Treppe und die Geländestufen mit einbezogen werden. Möglich wären Open-Air-Varieté-Veranstaltungen, Folklorekonzerte etc. Um den Bedürfnissen der Hundehalter gerecht zu werden, soll ein weiterer Teil des öffentlich zugängigen Platzes ein Hundepark werden. Auf dem größten Teil soll allerdings ein Lernpark entstehen, mit Rasenfläche, Steingarten, Kräuterspirale, Wildnis, Feuchtgebiet mit Teich- und Sumpfbiotopen. Aber Brügermeister Mendiburu mag offensichtlich kein Grün, das von der Basis zum Wuchern gebracht wird.

gigi


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