MieterEcho
Nr. 262 - Mai/Juni

Altes aus dem Antennenwald
Bekanntlich hat der Kapitalismus gesiegt.

        

Auf ganzer Breite. Alles was es da noch gegeben haben sollte, steht derzeit nicht nur außer Diskussion, sondern ist dem Vergessen anheim gestellt. So scheint die offizielle Linie in der neuen Bundesrepublik. Daß es da dennoch irgendwann mal etwas mehr gegeben habe könnte, hinter der längst nicht nur aus dem Stadtbild getilgten Mauer, wen kümmert es heute noch?

Jedenfalls nicht Richter Bressau vom Amtsgericht Tiergarten. Da hatte doch tatsächlich ein Mieter Mietminderung verlangt, weil seine Fernsehantenne schief im Wind hing und das telegene Bild der Welt nur arg verzerrt über den abendlichen Bildschirm flimmerte. Eine ganze Reihe von Programmen waren kaum zu empfangen, geschweige denn zu verstehen. Nun denn, der erboste Hauseigentümer sah das nicht ein und klagte gegen den Mieter. Erfolgreich. Denn so die Begründung des Richters: "Geschuldet ist lediglich die Beibehaltung des Zustandes, wie er bei Mietvertragsabschluß vorhanden war. Damals (Ende der siebziger Jahre) konnten per Antenne lediglich ARD, ZDF und das Dritte Programm (sogenannte Nordschiene) empfangen werden." Und diese seien auch heute noch einigermaßen zu entziffern.

Das mag ja angehen. Aber wie gesagt, da gab es doch noch mehr. Denn hinter der Mauer, da funkten doch tatsächlich die unverschämten Bösen, sendeten ihre Propaganda direkt in die Hirne der Wessis. Unterwanderten über ihre schwarzen Kanäle die Herzen der Konsumverblendeten in Berlin-West. DDR 1 und DDR 2 nannten sie schlicht ihre Programme. Zum Glück, da sind wir uns ja alle so einig mit Richter Bressau, haben sich die hier gezeigten Realitätsinterpretationen längst versendet. Niemand, aber auch wirklich niemand trauert ihnen nach. Und deshalb hat natürlich auch niemand mehr einen Anspruch auf guten Empfang dieser Sender. Auch wenn auf den entsprechenden Kanälen immer noch Bilder in die Kiste flimmern. Und immer noch aus dem tiefen Osten. Teils längst angepaßt an die westliche Glitzerwelt unter dem Namen "Puls-TV", teils aus der Brandenburger Walachei unter dem Logo "ORB", wo doch " welch Grauen " tatsächlich noch in schöner Regelmäßigkeit die alten Ostfilme laufen.

Zum Glück hat Richter Bressau anscheinend schon immer seine Antenne in den richtigen Wind gehalten. Die DDR hat verloren. War Unrechtsstaat. Hat niemals existiert. Und wenn doch, dann war sie immer schon zu ignorieren. Und damit nichts, aber auch wirklich nichts mehr an dieses realsozialistische Element erinnert, hat natürlich auch heute niemand das Recht, die Sender aus dem Osten zu empfangen. Das müssen wir einsehen. Denn der Kapitalismus hat gesiegt. Auf ganzer Breite.

ga


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