MieterEcho
Nr. 262 - Mai/Juni

Quo vadis - Wohnungspolitik
Eine Bestandsaufnahme von Joachim Oellerich

        

Im Herbst 1992 hatte die Bundesregierung eine Kommission "unabhängiger" Experten aus Wissenschaft und Praxis berufen, die "auf der Basis einer umfassenden Analyse Vorschläge für eine effiziente Nutzung wohnungspolitischer Instrumente" ausarbeiten sollte. Diese Experten, teils Angehörige des liberalen Spektrums der Wirtschaftswissenschaften, teils Vertreter von Großbanken und hochkarätigen Gesellschaften für Immobilienverwertung, verschmolzen zu einem harmonischen Gesinnungsblock, dessen "Unabhängigkeit" sich in seinem im Oktober 1994 vorgelegten Bericht als Unabhängigkeit von mieterfreundlichen Neigungen zu erkennen gab. "Wohnraum ist ein knappes Gut." wird erkannt, und sogleich ausgeführt, "es kostet Anstrengung, ihn herzustellen, er ist begehrt."

Leichter fiel den Experten die Erkenntnis, nach welchen Regeln dieses knappe Gut Wohnraum hergestellt und verteilt werden soll: "Es braucht (...) angemessene Anreize, damit er geschaffen wird, und es braucht angemessene Anreize, damit er entsprechend seiner Knappheit im Vergleich zu anderen Gütern, die die Menschen ebenfalls begehren, zwischen diesen aufgeteilt wird. Diese Funktion erfüllen in effizienter Weise Preise, hier Mieten, wie sie auf den Märkten zustande kommen, auf denen viele Anbieter und viele Nachfrager miteinander wetteifern. Das heißt, prinzipiell ist Wohnraum nach den Regeln der Marktwirtschaft zu erstellen und zu verteilen." Unmittelbar anschließend konstatiert die Kommission mit Verwunderung:"Gleichwohl gibt es Wohnungspolitik", und konzentriert sich gleich auf Vorschläge, wie diesem Phänomen der Garaus zu machen sei.

Die Kommission will die Aufgaben des Staates auf die rechtliche Sicherung der marktwirtschaftlichen Regulierung sowie auf ein eher planungstechnisches Regelwerk reduzieren, das Instrumente für die Kapitalverwertung, Werterhaltung und " falls dies nicht gelingt " zur Revalorisierung zu liefern habe. DenMietern wird zwar ein gewisser Kündigungsschutz zugestanden, gleichzeitig aber bei jeder Gelegenheit daran erinnert, daß in diesem ein wichtiges Verwertungs- und daraus folgend Investitionshemmnis gesehen werden muß. Mietenpolitik im engeren Sinne hat allenfalls für Nachfragefähigkeit in Form von Subjektförderung (Wohngeld) zu sorgen und wird zur Sozialpolitik, um Randgruppen zu "behausen". Bleiben daneben noch Eigentumsförderung und ordnungspolitische Baulandausweisungen als Felder auf denen der Staat zugunsten anlagefreudigen Kapitals zu säen habe, so würde sich die Forderung nach "wirkungsvoller und billiger Wohnungpolitik" dadurch erfüllen, daß sie gänzlich verschwände. "Die Sonne schien, da ihr nichts anderes übrig blieb, auf nichts Neues", ließe sich Beckett zitieren, denn bereits 1953 führte Dr. Thomas Dehler (FDP) im Bundestag aus: "Wohnungsmarkt! Ja, wer glaubt denn wirklich noch, unsere Wohnungswirtschaft sei sozial! Mein Freund Preusker (seinerzeit Bundesbauminister) hat völlig recht. Es gibt doch nur eines: Dieses Ministerium (das Bauministerium) beseitigt man dadurch, daß man den Wohnungsmarkt und den Wohnungsbau gesundet, nämlich mit marktwirtschaftlichen Gesetzen erfüllt. Wie kann man eine Wohnungszwangswirtschaft als sozial bezeichnen, wenn man den Hausbesitzer unter ein Ausnahmerecht stellt? Wohnungsnot wird erst beseitigt, wenn die Ware Wohnung ihren gerechten Preis hat."

Tatsächlich finden sich hier Zielstellung und Prozeß der bundesdeutschen Politik in schöner Kongruenz. Bereits sehr früh hatte sich die Auffassung durchgesetzt, daß Staatseingriffe prinzipiell systemwidrig seien. Es verdichtet sich zu einem kontinuierlichen Prozeß der Liberalisierung des Wohnungsmarktes. Ein Prozeß, den Wechsel politischer Mehrheiten im Bundestag nicht wesentlich beeinflußt haben.

1. Phase: Mangelverwaltung

Zu den Kriegsfolgen gehörte ein Wohnungsfehlbestand von weit über 10 Mio Wohneinheiten, verschärft in den städtischen Ballungsräumen. Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 18 vom 8.3.1946 versuchten die westlichen Alliierten diesen Mangel gleichmäßig zu verteilen:

  • alle Wohnungen wurden behördlich erfaßt,
  • die Mieter wurden eingewiesen, l die Mieten wurden auf dem Stand von 1936 eingefroren
  • und sämtliche Kündigungsmöglichkeiten ausgeschlossen.

Der Wohnungsmangel blieb auch nach Gründung der Bundesrepublik 1949 eklatant. Seine Überwindung hätte sowohl Vergesellschaftung des Grund- und Hausbesitzes, sowie einen staatlichen Wohnungsbau gerechtfertigt. Doch bereits durch das 1. Wohnungsbaugesetz von 1950 wurden die strikten Bestimmungen des Kontrollratsgesetzes abgeschwächt und die Weichen auf die rein privatwirtschaftliche Entwicklung des Wohnungswesens unwiderruflich gestellt. Neubau wurde gefördert als sozialer Wohnungsbau oder als steuerlich begünstiger Wohnungsbau. Empfänger immenser staatlicher Mittel waren die privaten Grundeigentümer. Ihnen wurden zinslose Darlehen mit langen Laufzeiten gewährt. Die großzügige Kapitalsubvention war erforderlich, weil privates Kapital, soweit es überhaupt zur Verfügung stand, in produktive Bereiche gelenkt werden sollte. Durch die Förderung wurde eine Richtsatzmiete unabhängig von den tatsächlichen Kosten in Höhe von 60 Pfennig bis zu einer Mark pro m2 festgesetzt. Die Wohnungsämter bekamen ein Belegungsrecht. Die niedrige Richtsatzmiete entlastete die Reproduktionsfonds der Arbeiter und Angestellten, ermöglichte entsprechend niedrigere Löhne und subventionierte damit indirekt das Produktionskapital.

2. Phase: Liberalisierung des steuerbegünstigten Wohnungsbaus

Schon 1953 wurde die Mietpreisbindung für den steuerbegünstigten Wohnungsbau aufgehoben. Zudem konnten Förderungen für den sozialen Wohnungsbau vorzeitig zurückgezahlt werden, wodurch die Bindungen entfielen. Das 2. WohnungsbauGesetz von 1956 schuf die heute noch gültige Grundlage der Wohnbauförderung. Priorität erhielt die Eigentumsförderung: "Die Förderung des Wohnungsbaus hat das Ziel die Wohnungsnot, namentlich auch der Wohnungssuchenden mit geringem Einkommen zu beseitigen und zugleich weite Kreise des Volkes durch Bildung von Einzeleigentum, besonders in der Form von Familienheimen, mit dem Grund und Boden zu verbinden. Sparwille und Tatkraft aller Schichten der Bevölkerung sollen hierzu angeregt werden. In ausreichendem Maße sind solche Wohnungen zu fördern, die die Entfaltung eines gesunden Familienlebens, namentlich für kinderreiche Familien gewährleisten."

Es ist umstritten, ob die Eigentumsförderung wesentlichen Einfluß auf die Eigentumsquote hatte. Es ist ebenso umstritten, ob diese Art von Wohnungspolitik eine sinnvolle Aufwands-Nutzen-Relationen gegenüber der ausschließlichen Förderung des Mietwohnungsbaus gebracht hat. Nicht umstritten kann aber der reaktionäre familienpolitische Charakter dieses Gesetzes sein und seine negativen Auswirkungen auf die Landschaftsentwicklung durch Begünstigung des den Ballungszentren vorgelagerten Siedlungsbreis einschließlich der damit verbundenen Hervorbringungen an brutaler Betonarchitektur für den Straßenbau.

Sehr folgenreich war die Einführung der Aufwandssubventionen für auf dem Kapitalmarkt beschaffte Finanzierungsmittel. Dadurch sollte auch der soziale Mietwohnungsbau hinsichtlich seiner Finanzierung ganz in die "Soziale Marktwirtschaft" integriert werden. Die zinslosen Darlehen wurden reduziert, die Mietbindung von der Richtsatzmiete auf die aufwandsabhängige (und damit höhere) Kostenmiete umgestellt. Ab 1955 wurde die Entlassung des Althausbestandes aus der Mietbindung vorbereitet und Mieterhöhungen bei Modernisierung erlaubt.

3. Phase: Liberalisierung des Althausbestandes

Der nach dem damaligen Bundesbauminister benannte Lücke-Plan von 1960 stellte ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen dar, die zu dem "Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft" zusammengefaßt wurden. Dadurch wurde die Wohnraumbewirtschaftung vollends abgeschafft und die Mietpreisbindung sowie der Kündigungsschutz für Altbauten aufgehoben. Von der "Wohnungszwangswirtschaft" oder genauer von moderaten Altbaumieten befreit wurden alle Stadt- und Landkreise (sog. weiße Kreise), die ein rechnerisches Wohnraumdefizit von weniger als 3% aufwiesen.

Mit dem Tempo der Liberalisierung des Wohnungsbestandes konnte die Konsumkraft erheblicher Teile der Bevölkerung nicht Schritt halten. Wohngeld wurde nötig. Doch jede Regelung, die den Mietern tatsächlich hilft (indem der Staat einen Teil der Miete übernimmt, die der Mieter nicht zahlen kann), dehnt den Mieterhöhungsspielraum der Vermieter aus und leistet weiteren Mietssteigerungen Vorschub.

4. Phase: Konsolidierung

In den folgenden Jahren wurde die Förderung von Mietwohnungen zugunsten der von Eigentum verringert, die Liberalisierung des Althausbestandes fortgeführt und vor allem durch Verschiebung innerhalb der Förderung im Sozialen Wohnungsbau in Richtung auf den 2. Förderungsweg die risikolose Anlagesphäre des privaten Kapitals ausgedehnt. Das Wohnungsbauänderungsgesetz von 1965 leitete den Rückzug aus der Wohnungsbauförderung mit dem Ergebnis teilweise enormer Mietsteigerung und Leerstände ein. Erst Mieterproteste erzwangen Nachfinanzierungen.

5. Phase: Vereinheitlichung der Märkte

In der Regierungserklärung 1978 führte Bundeskanzler Schmidt aus: "Die künftige Wohnungspolitik ist nicht mehr nur eine Wohnungsbaupolitik im traditionellen Sinne. Die Bundesregierung sieht vielmehr in der Erhaltung und Erneuerung des vorhandenen Wohnungsbestandes, der Stärkung der "Wohnkaufkraft" von Haushalten mit niedrigem Einkommen durch das Wohngeld sowie der verstärkten Bildung von Wohneigentum gleichrangige Zielsetzungen."

Nein, traditionell war die sozialliberale Wohnungsbaupolitik gewiß nicht. Bereits vor 1978 funktionierte sie weitgehend als Teil der keynsianisch ausgerichteten wirtschaftlichen Globalsteuerung. Noch immer waren sozialer Wohnungsbau, Altbau und freifinanzierter Wohnungsbau deutlich hinsichtlich des Wohnwertes und vor allem der Renditen zu unterscheiden, was teilweise mietpreisdämpfend wirkte: ein Hemmnis bei der weiteren Liberalisierung des Wohnungsmarktes.

Bereits 1971 begründete das Städtebauförderungsgesetz umfangreiche Förderungen der Instandhaltung und Modernisierung des Altbaubestandes. Das Wohnungsmodernisierungsgesetz von 1976 sowie seine Erweiterung um den Bereich der Energieeinsparung ergänzten es. Zwar wurden so Wohnstandards erhöht, noch deutlicher aber die Mieten. Mehr und mehr verschwanden einfach ausgestattete, dafür aber günstige Altbauwohnungen vom Markt. Flankierende Wohngeldleistungen zur "Stärkung der 'Wohnkaufkraft'" waren unvermeidlich. Sie steigen von 600 Mio DM im Jahre 1969 auf 2,7 Mrd 1982. Gleichzeitig entwickelten sich allerdings die Steuervergünstigungen, größtenteils für den Eigenheimbau, von ebenfalls 600 Mio DM 1969 auf 4,8 Mrd 1982. Die Behandlung des sozialen Wohnungsbaus, insbesondere die verschiedenen rückwirkenden Zinserhöhungen mit entsprechenden Mieterhöhungen, ließen die Interpretation zu, daß eine faktische Abkehr von dem im 2. WoBauG formulierten Auftrag "der Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung" bereits in diesen Jahren vollzogen worden ist.

6. Phase: Totalliberalisierung

War bis dahin der Wohnungserwerb auf den Neubau beschränkt, wurde durch die sozialliberale Steuerpolitik die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu einem lukrativen Geschäft für Besserverdienende. Seit Beginn der 80er Jahre stieg die Zahl der Umwandlungen sprunghaft an und leitete eine neue Qualität der Liberalisierung des Wohnungswesens ein. Im Westteil von Berlin sind bereits ca. 15% des Altbaubestandes umgewandelt worden. Langfristig heißt das, daß nur noch Wohnungen ge- und verkauft werden.

Der vollen Duchstzung dieser Absicht steht der Mietwohnungsbestand in seiner Gesamtheit als Hindernis entgegen. Noch immer liegen die Wohnkosten zur Miete weit unter den Wohnkosten im Eigentum. Noch immer ist der Mieter vor der Willkür des Vermieters weitgehend geschützt, noch immer kann die Mietwohung mit der Eigentumswohnung konkurieren. Die Zahl der erfolgreichen Räumungsklagen wegen Mietschulden ist geringer als die Zahl der Zwangsversteigerungen von Eigentumswohnungen wegen Insolvenz. Erst wenn die Konditionen für das Wohnen zur Miete wesentlich schlechter geworden sind, erzeugt die Deregulierung des Wohnungsmarktes einen von allen Hemnissen befreite Kapitalsphäre.

Die Experten haben das in ihrem Bericht deutlich gemacht: "In den Jahrzehnten der Nachkriegszeit war die Verbesserung der Wohnungsversorgung für die breiten Schichten der Bevölkerung erklärtermaßen Ziel der Wohnungspolitik. Sie ist es nicht mehr, sie braucht es nicht mehr zu sein und sie kann es nicht mehr sein." Die rechtlichen Instrumente dieser Politik haben ein Kriterium zu erfüllen: sie müssen einfach sein.

Die Mietrechtsvereinfachung, die im Herbst diesen Jahres den Bundestag passieren soll, wird das Kriterium auf jeden Fall erfüllen, unabhängig davon, an welchen konkreten Punkten letztendlich angesetzt wird. Auch wenn die Bund-Länder-Kommission scheinbar(!) "in ihrem moderaten Vereinfachungsentwurf (...) den Vorschlägen der Expertenkommission eine Absage erteilt." (MieterEcho, Nr. 250. S. 5), ist zur Zeit nur offen, mit welchem Tempo in die gänzliche "Vereinfachung des Mietrechts" eingestiegen wird.

Offen ist aber nicht, daß mit jeder Veränderung der Abbau staatlicher Regulierung vorangetrieben worden ist. Offen ist auch nicht, daß das Nachteile für die Mieter gebracht hat und bringen wird. Offen muß einzig bleiben, woher der mitunter auftauchende Optimismus stammt, ausgerechnet in einer Lage, in der die politischen Kräfteverhältnisse in allen Bereichen der Gesellschaft nahezu ungehindert zugunsten des Kapitals agieren können, sei auf den Mietern nutzende Vereinfachungen zu hoffen. Eine Hoffnung, die entgegen aller Erfahrungen in der Bundesrepublik einen fundamentalen Bruch mit Vergangenheit darstellen würden.

Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß die Entwicklung einen anderen Verlauf nimmt. Eher im Gegenteil! Schon jetzt scheint sich abzuzeichnen, daß der seit langem in Agonie liegende soziale Wohnungsbau vermittels des im Hause von Herrn Töpfer ausgebrüteten Wohngesetzbuches den Todesstoß erhalten soll.


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