MieterEcho
Nr. 259 - November/Dezember 96

Privatisierungskapriolen der WBM:
Mieter/innen-GbR gegen Rausmodernisierung

Sie wollen einfach nicht raus aus ihren Wohnungen, die Mieterinnen und Mieter der Häuser Geschwister-Scholl-Straße 5/Planckstraße 22,22,24.
 
Viele von ihnen wohnen schon über zwanzig Jahre dort, aber der von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) vertraglich vorbereitete Verkauf an eine Geldanlegergruppe namens "Wohnungsprivatisierungsgesellschaft in Berlin" (WPGB) hätte mit Sicherheit zu einer Luxusmodernisierung dieser Häuser geführt, zumal diese in unmittelbarer Nähe zum künftigen Regierungsviertel liegen - und die Luxusmodernisierung hätte die Vertreibung der jetzigen Bewohner/innen über unbezahlbar gewordene Mieten zur Folge.
 
Sie wollen und wollten einfach nicht raus - und schlugen deshalb der WBM vor, die Privatisierung der Häuser nicht durch Verkauf an die o.g. Gesellschaft, sondern durch die Bildung einer Mietergenossenschaft vorzunehmen.
 
Mietergenossenschaft torpediert
 
Als sie diesen Vorschlag Ende des vergangenen Jahres machten, wußten sie noch nicht, daß die WBM zuvor schon die Gewerberäume in diesen Häusern an den o.g. Investor verkauft hatte, nebst elf leerstehenden Wohnungen, nebst den Dachgeschossen (!). Dabei hatte sie den Geldanlegern zugesichert, den "Rest" der Häuser, also 84 weitere Wohnungen, zum 1.10.96 "nachzureichen".
 
Eine Genossenschaft, die nicht über das ganze Gebäude verfügt, ist nicht handlungsfähig, und entgehen ihr die Einnahmen aus den Gewerberäumen, sind ihr rote Zahlen in den Finanzen vorprogrammiert (siehe ME 257/96 "Wie verhindert man eine Mietergenossenschaft").
 
Da anscheinend keine Möglichkeit zur Aufhebung des Vertrages mit den Investoren bestand, der eindeutig unter Mißachtung der Interessen der Mieter/innen geschlossen worden war, suchten letztere nach anderen Möglichkeiten, sich ihre Wohnungen zu bewahren.
 
Dazu bedurfte es zweier Voraussetzungen: einer gediegenen fachlichen Beratung und eines unabhängigen Baugutachtens. Für beides war die WBM zuständig, und beides wurde - über unterschiedlich lange Zeit - den Mieter/innen vorenthalten bzw. erschwert.
 
Beratungspflicht verletzt
 
Die 1995 von der WBM vertraglich verpflichtete Beratungsgesellschaft erwies sich als liiert mit potentiellen Häuserkäufern, was im Nachhinein ihre "Anti"-Beratung erklärte. Die seriöse Beratungsgesellschaft diges, von den Betroffenen vorgeschlagen, wurde zwar von der WBM akzeptiert, erhielt aber nie einen Beratungsvertrag (voll des Lobes und der Achtung sind die Mieter/innen für Herrn Thomas Bestgen von der diges, der sie trotzdem in ihrer Not qualifiziert beriet und weiter unterstützt, bislang für "Null ouvert"). Erst im Sommer 1996 - also im Grunde zu spät, wenn Herr Bestgen nicht zuvor auch ohne Vertrag tätig geworden wäre - erhielt eine andere Beratungsgesellschaft, die Ibis, einen Vertrag mit der WBM. Der inzwischen gangbar erscheinende Weg hieß: Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung (GbRmbH), der alle kaufwilligen Mieter/innen angehören (78 Mietparteien von 84!). Die GbR kauft alle Immobilienteile, die nicht dem Investor gehören, mit dem Ziel, diese innerhalb von etwa zwei Jahren zu sanieren und danach die sanierten Wohnungen an ihre Mitglieder, also an die Bewohner/innen, zu verkaufen.
 
Baugutachten viel zu spät
 
Das von Anfang an geforderte unabhängige Baugutachten wurde schließlich doch noch durch die WBM in Auftrag gegeben, an eine versierte Kreuzberger Gesellschaft, die seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Altbausanierung tätig ist. Durch die späte Auftragsvergabe lag dieses Gutachten allerdings erst Mitte August vor. Ohne ein solches Gutachten aber konnte kein Kostenrahmen für die Sanierung abgesteckt und also auch kein realistisches Finanzierungsmodell für den Häuser- bzw. Wohnungserwerb durch ihre Bewohner aufgestellt werden.
 
Bei GbR-Sanierung: Kaufpreis 1.500.-DM/qm
 
Die Kenntnis der wirklich nötigen Sanierungskosten war deshalb so wichtig, weil sich die WBM zuvor damit begnügt hatte, mit den Zahlen aus einem Gutachten der privaten Investoren zu hantieren - und diese waren erschreckend hoch und wurden dementsprechend auch als Abschreckungsmittel gegenüber kaufwilligen Mieter/innen benutzt. Jetzt aber stellte sich heraus, daß eine Sanierung mit Augenmaß und im Interesse der jetzigen Mieterschaft tatsächlich nur ein Viertel der Mittel beansprucht, die von den Investoren behauptet wurden, so daß mit einem Kaufpreis nach Sanierung von ca 1.500.-DM/qm gerechnet werden konnte.
 
Problematisch: GbR und Investor in derselben Immobilie
 
Durch die Verzögerungstaktik der WBM verfügte die Mieterschaft ab Kenntnis des Gutachtens nur noch über wenige Wochen Zeit bis zum 1.10.96, um ihr Kaufangebot auszuarbeiten und den Kaufvertrag mit der WBM auszuhandeln - eine objektiv viel zu kurze Zeit, wenn man bedenkt, welche Probleme sich z.B. für die Sanierung ergeben, wenn Gebäudeteile einschließlich der Dächer einen anderen Eigentümer haben und dieser auch noch plant, Dachgeschoßausbau zu betreiben. Da gibt es großen juristischen Klärungsbedarf vor Vertragsunterzeichnung.
 
Die WBM aber bestand auf ihrer Auffassung, ein Vorkaufsrecht der Mieter/innen für ihre Wohnungen würde am 30.9.96 ablaufen, danach würden diese Wohnungen den Investoren zufallen. Und in der ganzen Zeit gab es keine klare Aussage der WBM, ob sie denn überhaupt willig sei, an die Mieter/innen zu verkaufen.
 
Mieterschaft besetzt WBM
 
Die über Gebühr gestreßten Bewohner/innen wollten ein Ende des monatelangen Hin und Hers und der Ungewißheit und griffen deshalb zu einem ungewöhnlichen Mittel, das auch durch die Presse ging: Über 30 von ihnen zogen am 9. September 1996 zum Sitz der WBM und besetzten die Vorräume der Geschäftsführung, die sie nur nach einer eindeutigen Antwort des Geschäftsführers wieder verlassen wollten. Geschäftsführer Karl-Heinz Schmidt sagte schließlich verbindlich den Verkauf an die Bewohner/innen zu.
 
Danach überstürzten sich die Ereignisse: Am 25. September schienen sich Mietervertreter und WBM-Vertreter mit ihren jeweiligen Anwälten einig, daß der Verkauf an die Mieter-GbR erfolgen würde, der Vertrag aber wegen einiger noch zu klärender schwieriger Fragen nicht unterschriftsreif sei. Die vorliegenden 78 Mieter/innen-Unterschriften für eine Option auf die jeweilige Wohnung seien aber zunächst ausreichend als vertragliche Vereinbarung vor dem 1.10.96, so daß die Verhandlungen für die weitere Vertragsgestaltung auch danach noch stattfinden könnten.
 
Am 26. September fordert jedoch die WBM dazu auf, den (noch nicht fertig ausgehandelten) Kaufvertrag am 27.9., spätestens am 30.9. zu unterzeichnen, sonst seien alle Vorkaufsrechte verwirkt.
 
Mieter/innen bei Diepgen und Klemann
 
Vermittlungsversuche fruchten nichts, aus völligem Unverständnis und Empörung der Mieter/innen wächst ein neuer Schritt - am 1. Oktober gehen dutzende von ihnen ins Rote Haus, informieren Diepgens Büro und Bausenator Klemann, der gerade des Weges kam, wie sie um ihr Vorkaufsrecht an den Wohnungen durch eine städtische Vermieterin geprellt werden sollten. Am 14.10.96 kommt es schließlich zu einer neuen Verhandlungsrunde mit der WBM, die letztlich an den Stand der Verhandlungen anknüpft, der am 25.9. schon erreicht war und vereinbart schien.
 
Fortsetzung der Kaufverhandlungen
 
Die letzte Verhandlungsrunde vor Drucklegung dieses MieterEchos fand am 21.10.96 statt und brachte nach unserer Kenntnis weitere Fortschritte in Richtung Vertragsunterzeichnung. Wünschen wir den strapazierten, aber hartnäckig gebliebenen Mitgliedern der GbRmbH Geschwister-Scholl-Straße/Planckstraße ein volles Gelingen ihres Unterfangens, ihre Häuser selbst zu sanieren und danach ihre Wohnungen zu einem verträglichen Preis zu erwerben, um in ihnen wohnen bleiben zu können.
 
Jonny Granzow

MieterEcho-Archiv | Inhaltsverzeichnis Nr. 259

HTML-Auszeichnung © 1996 U. Pieper