MieterEcho
Nr. 259 - November/Dezember 96

Mietervertreibung durch Umwandlung

Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen hat unweigerlich die Verdrängung der Mieter/innen zur Folge. Zahlen belegen dies anschaulich. Allein 1994 wurden in Berlin über 11.000 Wohnungen, für die sog. Abgeschlossenheitsbescheinigungen vorlagen, verkauft. 64% dieser Wohnungen waren unbewohnt, d.h. die Mieter/innen waren vor dem Verkauf ausgezogen. Lediglich in knapp einem Drittel der verkauften Wohnungen lebten noch die bisherigen Mieter/innen. Innerhalb der Berliner MieterGemeinschaft hat sich eine Initiative gegen Umwandlung gebildet, die sich zum Ziel gesetzt hat, ausgehend vom Beispiel Kreuzberg dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Denn auffällig ist, daß gerade in Kreuzberg oder Neukölln die Umwandlungsrate über dem Durchschnitt liegt.
 
Eine Legende im Wandel
 
Zog der einstige Schmuddelbezirk Kreuzberg seit den 60ern junge Menschen, Studenten/innen oder Lebenshungrige magnetisch an, fanden hier die abenteuerlichsten Gestalten und experimentierfreudigsten Projektgruppen sowohl leere Wohnungen als auch eine billige Bleibe - Durchschnittsmiete: 1 bis 2 DM im Hinterhof, mit Kachelofen und Außenklo - zieht er seit einiger Zeit das besondere Interesse der Umwandler auf sich.
 
Dieser bunten Mischung der Bewohner/innen gelang es, der Kahlschlagsanierung des damaligen Berliner Senats die Flügel zu stutzen. Massiver Widerstand stoppte sämtliche Vorhaben und schuf Platz für eine behutsame Stadterneuerung, deren Ergebnisse sich im Bereich Umbau, Sanierung und Neubau sehen lassen können. Doch bereits durch die Entkernung der Hinterhöfe, d.h. dem Abriß der Hinterhäuser, oder die Anhebung des Ausstattungsstandards vieler Wohnungen wurde billiger Wohnraum vernichtet. Auch die Hofbegrünung kam in den vergangenen Jahren manch armen Mieter/innen teuer zu stehen. Der Anfang zur Aufwertung des Bezirkes war gemacht.
 
"Kreuzberger Mischung" passe?
 
Die über die Grenzen Kreuzbergs hinaus bekannte und bisweilen auch gelobte Mischung in der Bewohnerstruktur löste sich zunächst unmerklich, unter dem Motto "Mein Kiez soll schöner werden", auf. Denn gerade die dunklen, aber billigen Wohnungen der Hinterhöfe verschwanden. Jene Architekturstudentin, die neulich noch die Methoden der behutsamen Stadterneuerung in ihrer Abschlußarbeit untersuchte, bewohnt nun selbst eine geräumige Wohnung im Vorderhaus und hat den Innenhof für gutes Geld entkernt oder besser entkernen lassen. Auch der Pädagogikstudent ist bereits ein gestandener Lehrer und überlegt, welche Schule für seine Kinder die beste sei - also dort wo "deutsch gesprochen" wird und das Bildungsniveau angemessen ist. Die teueren Mieten können sie sich bisher leisten! Bisher. Denn jede 10. Wohnung in Kreuzberg ist von Umwandlung betroffen. Das sind ca. 8.000 Wohnungen oder mehr als 16.000 Bewohner/innen, von denen auch nur 5% ihre Bleibe kaufen können oder wollen. Und gerade wenn die Wohnung "nur" an Anleger verkauft wurde, muß mit Mietsteigerungen gerechnet werden. Die Umwandlung selbst wertet den Bezirk auf.
 
Aber es werden in Kreuzberg nicht nur die frisch modernisierten Altbauwohnungen umgewandelt. Auch hier sind einfache und schlichte Häuser oder die Blöcke des sozialen Wohnungsbau der Profitmaximierung der Besitzer unterworfen. In den Häusern wohnen Mieter/innen, die sich vor der Umwandlung in der Regel noch keine Gedanken darüber gemacht haben, ob Mieten gut oder schlecht, modern oder altmodisch sei. Mieter/innen, die sich auch jetzt in den seltensten Fällen diese Gedanken machen. Kreuzberg gehört auch heute noch zu einem der ärmsten Bezirke Berlins. Aber wo sollen diese verdrängten Bewohner/innen wieder neuen bezahlbaren Wohnraum finden? Bezahlbarer Neubau ist für den Berliner Senat nach wie vor ein Fremdwort.
 
Wer bekommt Kreuzberg?
 
Die Entwicklung macht deutlich, Kreuzberg soll kein Wohnbezirk für diese ärmeren oder normalen Schichten bleiben, denn Kreuzberg ist jetzt Innenstadt geworden. Der Kreuzberger Wohnungsbestand, noch dazu in attraktiven, behutsam sanierten und hofbegrünten Wohngegenden, wird mit einer atemberaubenden Dynamik verkauft. Und zwar zum größten Teil an Anleger oder Banken. Die Initiative gegen Umwandlung der Berliner MieterGemeinschaft versucht die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung zunächst am Beispiel Kreuzberg und zu einem späteren Zeitpunkt für Berlin genauer zu untersuchen: In diesem Zusammenhang suchen wir Mieter/innen bzw. ehemalige Mieter/innen von umgewandelten Wohnungen, die uns über ihre Erfahrungen berichten wollen. Aber auch alle, die uns mit ihrem Interesse, ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und mit ihrer Kritik unterstützen wollen sind willkommen, um in einem weiteren Schritt dem Verkauf von Wohnungen den Kampf anzusagen.
 
Dorothee Wendt
 
Anmerkung
Siehe auch "Ist Kaufen wirklich fortschrittlicher als Mieten?"

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