Nr. 257 Juni/Juli/August 96

Bündnis für Arbeit (Teil 2): ”Aufruhr, Widerstand, Schulte hat kein Hinterland!”
von Gerald Wolf, Bündnis Kritischer GewerkschafterInnen Ost/West
Im letzten MieterEcho erörterte der Autor die Auswirkungen des Bündnisses für Arbeit (BfA) und kritisierte die enorme Verzichtsbereitschaft der Gewerkschaften im Rahmen dieses Bündnisses. Die von der Bundesregierung und den Unternehmern betriebene Umverteilungspolitik von unten nach oben schmälert auch die Einkommen vieler Mieter/innen bei gleichzeitig steigenden Mieten und Wohnnebenkosten. Dem muß entgegengewirkt werden. Vor diesem Hintergrund halten wir es wichtig, sich kritisch mit der Gewerkschaftspolitik auseinanderzusetzen, auch wenn einige Leser/innen inhaltlich nicht mit allen Punkten übereinstimmen.
 
Im folgenden Beitrag beleuchtet der Autor nun einige Hintergründe dieser Politik und setzt sich kurz mit der neueren Entwicklung auseinander. Im Zentrum steht dabei die zum Teil heftige Kritik aus Gewerkschaftskreisen am BfA, die ja auch auf der offiziellen 1. Mai-Kundgebung des DGB in Berlin öffentlichkeitswirksam vorgetragen wurde.

 
Mit der im Kern von allen bundesdeutschen Gewerkschaften mitgetragenen Initiative für ein BfA vollziehen die Gewerkschaften den Übergang von der Sozialpartnerschaft zum gesellschaftlichen Co-Management: Im alten Sozialpartnerschaftsmodell hielten sich die Gewerkschaften aus dem Management heraus. Sie beschränkten sich z. B. auf das Aushandeln von Sozialplänen. Schon seit geraumer Zeit jedoch betreiben viele Betriebsräte - vor allem in den Großunternehmen - Co-Management-Politik: Sie übernehmen bewußt Verantwortung für die Firma, lassen sich direkt in die Kapitallogik einbinden und unterbreiten ihrerseits ”alternative Vorschläge”. Moderne kapitalistische Unternehmensführungskonzepte setzen auf ”Mitarbeiter/innen”, die sich den Kopf der Firma zerbrechen und ständig Verbesserungsvorschläge ersinnen - mit denen sie sich womöglich am Ende selbst wegrationalisieren.
 
Das magische Dreieck
Dieses Co-Management-Modell aus den Betrieben übertragen die Gewerkschaften mit dem ”Bündnis für Arbeit” nun auf die gesamtgesellschaftliche Ebene. Sie wollen mitreden, mit Staat und Konzernen kooperieren und verantworten dafür Verzicht. Der gewerkschaftliche Strategiewechsel vollzieht sich nicht zufällig. Auch die IGM akzeptierte stets den Profit der Unternehmen und spielte das Standortsicherungsspiel mit:
  • So wurde die 1984 vereinbarte Arbeitszeitverkürzung auf 35-Stunden enorm gestreckt und mit moderaten Lohnerhöhungen erkauft.
  • Beim sogenannten ”VW-Modell” (betriebliche Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich mit befristeter Beschäftigungsgarantie) ging es nur noch um vorübergehende Arbeitsplatzrettung für Beschäftigte gegen Lohnverzicht, während die Erwerbslosen nicht berücksichtigt wurden. Das VW-Modell zielte auf Produktivitätsgewinn und war der Testfall für das BfA.
  • Die Einführung besagter moderner Unternehmenskonzepte (”schlanke Produktion”, ”lean production”) stieß bei der IGM geradezu auf Begeisterung. Sie versprach sich davon fälschlicherweise die Emanzipation der Belegschaften.
  • Die von den DGB-Oberen inszenierte Programm-Debatte zielt auf die endgültige Aufgabe jeglicher Gegenmachtspolitik.
Mit der Konzeption ”Bündnis für Arbeit” beugen sich die Gewerkschaften den vermeintlichen ”Sachzwängen” und verabschieden sich endgültig von einer Strategie der Reichtumsumverteilung. Konsequenterweise stricken sie bei Rentenkürzungen mit oder erwägen Einschränkungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
 
Kritik am Bündnis für Arbeit
Das BfA ist quer durch alle Gewerkschaften inzwischen zur Zielscheibe vehementer Kritik geworden. So kritisierte z. B. Anfang Februar ein branchenübergreifendes, bundesweites Treffen von Kolleg/innen in Kassel die Aufgabe gewerkschaftlicher Grundprinzipien beim ”Bündnis für Armut und Profit!”: ”* Statt ”gleicher Lohn für gleiche Arbeit” niedrigere Einstiegstarife für Erwerbslose - Lohnspaltung als Gewerkschaftsprogramm!
  • Mitgestaltung statt Bekämpfung des Sozialabbaus!
  • Arbeitsplätze um jeden Preis, ohne nach deren Bedingungen und nach dem Inhalt der Arbeit zu fragen!
  • Akzeptanz der Unternehmerlogik, daß Lohnverzicht Arbeitsplätze schafft!”

 
Es sei an der Zeit, mit Kapital und Regierung ”Französisch” zu reden.
In Berlin hat sich erfreulicherweise die Gewerkschaft HBV (Handel, Banken, Versicherungen) gegen das BfA ausgesprochen. Unter dem Titel ”Wir wollen ein anderes Bündnis! Gegen den Richtungswechsel in der Gewerkschaftspolitik” initiierte sie eine längere Erklärung, die von über 200 Kolleg/innen aus verschiedensten Einzelgewerkschaften unterzeichnet wurde. Das Papier ruft zu einem alternativen Bündnis der Gewerkschaften mit den Beschäftigten, mit den Erwerbslosen, den ”Mittellosen” und den Benachteiligten zwecks Widerstandes gegen die Umverteilung von unten nach oben, auf.
 
So begrüßenswert diese Initiative ist, werden doch politische Unterschiede deutlich: So ist u. a. die Kritik am ursprünglichen Vorschlag Zwickels schwammig formuliert und das Bündnis für Arbeit wird als tiefer Einschnitt in die Gewerkschaftspolitik bezeichnet, anstatt die kontinuierliche Entwicklung in diese Richtung herauszuarbeiten.
 
Wenn die Medien den Ton abdrehen, oder: Als Schulte heiser ward...
Aus gemeinsamen Veranstaltungen und in Zusammenarbeit mit gewerkschaftskritischen Initiativen und dem ”Berliner Bündnis gegen Sozialabbau und Ausgrenzung” entwickelte sich eine erfolgreiche Intervention am 1. Mai: Vor allem im Block der HBV sammelten sich die Kritiker der BfA-Politik mit Transparenten wie ”Aufruhr, Widerstand, Schulte hat kein Hinterland!”. Auf der Demo und vor allem während der Kundgebung des DGB vor dem Roten Rathaus und der Rede des DGB-Bosses Dieter Schulte artikulierte sich der Protest so lautstark, daß in einigen TV-Übertragungen die Protestpfiffe künstlich ”runtergedreht” wurden. Immerhin mußte der DGB-Chef wegen Heiserkeit am nächsten Tag eine Talkshow absagen. Das riesige Transparent: ”DGB-Führung muß weg!” war ohnehin nicht zu übersehen.
 
Mobilisierung - fürs Bündnis für Arbeit!
Auch das zwischenzeitliche Ausscheren der Gewerkschaften aus der Kanzlerrunde Ende April sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich grundsätzlich an der mit dem BfA-Angebot eingeläuteten Verzichtspolitik nichts geändert hat. Irgend etwas muß die Gewerkschaft ihren Mitgliedern schließlich bieten - und das Maß ist angesichts eines erneuten Sozialabbaukataloges (vorerst) voll: Auf dem Plan stehen u.a. Verschlechterungen beim Kündigungsschutz und eine Reduzierung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80%. Der DGB kritisiert daran, daß ”einseitig”, ”nur” auf Kosten der Arbeitnehmer gespart würde. Belege für die Halbherzigkeit des Protestes liefern auch die Verhandlungen in der Metallbranche in Südwestdeutschland: Dort bietet die IGM an, Überstundenzuschläge nicht mehr auf die Höhe der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall anzurechnen, wenn die Unternehmer der IGM beim Überstundenabbau entgegenkämen.
 
Bei einem ”Sozialgipfel” Anfang Mai verabschiedeten der DGB und sechs Wohlfahrtsverbände eine Sozialcharta, während die ebenfalls teilnehmenden Kirchen nur Teile dieser Erklärung unterstützen. ”Gerechtigkeit in der Lastenverteilung” ist das Anliegen. Harmonisierend ist die Rede vom ”Erhalt des Sozialen Friedens” und von der Bereitschaft, Einschnitte ins Soziale Netz mitzutragen. Die Charta klagt das Bündnis für Arbeit ein. Kritiker von Sozialhilfeinitiativen schelten die Sozialcharta denn auch als ”Hochglanzpapier” und kritisieren, daß es den Veranstaltern eher um das Aushandeln eines tragfähigen Sozialstaatskonsenses mit den ebenfalls eingeladenen Ministern und Managern, als um die Organisierung von Druck von unten ging.
 
Die Gewerkschaften mobilisieren jetzt zwar, jedoch weiterhin mit erklärter Verzichtsbereitschaft. Es wird sich zeigen, ob die weit verbreitete Unzufriedenheit so kanalisiert oder weitergetrieben werden kann. Denn nicht wenige Gewerkschaftsinitiativen fordern inzwischen einen Generalstreik. Die Debatte um eine vollständige Neuorientierung der Gewerkschaftspolitik ist überfällig. Dabei können die neuen gewerkschaftlichen Ansätze in Frankreich und Italien diese Debatte befruchten.
 
Das obige Bündnis hat einen Reader mit kritischen Reaktionen von KollegInnen auf das BfA zusammengestellt, der für 5 DM in Briefmarken bestellt werden kann bei:
Gerald Wolf
Boppstr. 7, 10967 Berlin
Tel.: 692 93 55

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