Nr. 257 Juni/Juli/August 96

Mitte:
Wie verhindert man eine Mietergenossenschaft?

Stellen sie sich vor: eine Häusergruppe, bemerkenswerter Altbau, großenteils saniert, beste Lage am Rande des künftigen Regierungsviertels, 95 Wohnungen mit bis zu vier Zimmern und mit Wohnflächen bis über 200 Quadratmeter! Ist das was? Wenn man das Ganze luxusmodernisiert und an Betuchte vermietet oder verkauft - das ist doch was, sagten sich offenbar ihrerseits einige Herren aus Berlin-West und Frankfurt am Main.
 
Investoren wollen Immobilien-”Filetstück” in der City
Die erwähnten Herren hatten sich am 4.12.95 ins Handelsregister als ”Wohnungsprivatisierungsgesellschaft in Berlin” (WPGW GmbH i.G.) eintragen lassen, mit 100.000 DM Stammkapital, davon 50.000 DM von der Bank für Gemeinwirtschaft. Und sie hatten prompt noch vor dem Jahresende 1995 von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) Häuser mit 408 Wohnungen übernommen - als sogenannte Zwischenerwerber und unter der Bedingung, von der obengenannten Häusergruppe einen Teil sofort und den Rest zum 1.10.96 zu bekommen. Ging es doch hier um ein ”Filetstück” an Immobilie: um die zusammenhängenden Häuser Geschwister-Scholl-Straße 5/Planck-Straße 20, 22, 24, mit vorhersehbarer Wertsteigerung auf Grund der City-Lage zwischen dem S-Bahn-Bogen nahe der Friedrichstraße und der Spree, unweit der Museumsinsel.
 
Privatisierungsangebot: Mieter/innen für Genossenschaft
Deren Bewohner/innen waren schon im vergangenen Herbst erschreckt und aufgescheucht worden, als ihnen die WBM offenbarte, ihre Häuser sollten in Erfüllung des Altschuldenhilfegesetzes privatisiert werden, mit der offiziellen Maßgabe, die Wohnungen vorrangig an die Mieter/innen zu verkaufen. Diesen wurde auch eine als unabhängig bezeichnete Gesellschaft namens CT GmbH benannt, die sie in allen Wohnungskauffragen vertrauenswürdig beraten würde.
 
Da die Beratung durch diese Gesellschaft eher einer Anti-Beratung ähnelte (später sollte ruchbar werden, warum) und auch die von der WBM genannten hohen Kaufpreise (2.500 - 3.100 DM/qm) abschreckend wirkten, setzte sich bei den Bewohner/innen der Gedanke fest: Ehe unsere Häuser an Dritte veräußert werden, mit allen Risiken, die für uns damit verbunden wären, kaufen wir sie lieber selber. Und so begannen sie, mit der WBM über die Bildung einer Mietergenossenschaft zu verhandeln, da über 30 % der Mieter/innen bereit waren, einer solchen beizutreten. Bewohner/innen hinters Licht geführt
Was sie nicht wußten: Zu diesem Zeitpunkt hatte die Geschäftsführung der WBM längst - nämlich per Vertrag vom 27.12.95 - der schon genannten nagelneuen ”Wohnungsprivatisierungsgesellschaft in Berlin” (WPGW) alle Dachgeschosse, alle Kellergeschosse, alle Gewerberäume ihrer Häuser verkauft, dazu ... alle per 31.12.95 leerstehenden Wohnungen! Und alles übrige an den Gebäuden einschließlich der weiteren 83 Wohnungen war der Gesellschaft vertraglich zum 1.10.96 zugesagt, wenn denn die Mieter/innen ihre Wohnungen bis dahin nicht selbst erworben haben sollten. Damit wären wir beim vierfachen Skandal um diese Häuser angelangt:
 
Erster Skandal
Die sogenannte Beratungsgesellschaft ”CT Projekt- und Bauträgergesellschaft mbH”, die die Mieter/innen hätte zum Wohnungskauf ermutigen sollen, stellte sich als überhaupt nicht unabhängig, sondern als selbst am Wohnungskauf interessiert heraus: Sie war - so wurde im Januar 1996 bekannt - das Mutterunternehmen der im Herbst 1995 kurzerhand gegründeten Immobilientochter ”Immobilien-Bau-Contor” (IBC GmbH). Dieses Tochterunternehmen trat als Zwischenerwerber bei der Privatisierung auf und kaufte noch 1995 von der WBM Häuser in der Holzmarktstraße, in denen wiederum die eigene ”Mutter” zuvor Mieter/innen ”beraten” hatte. Und ausgerechnet diese Muttergesellschaft wurde von der WBM auch als ”Beratungsgesellschaft” für die Geschwister-Scholl- und Planckstraße verpflichtet!
 
Zweiter Skandal
Die WBM verscherbelte bereits vorab einen Teil dieser Immobilie an Kapitalanleger, obwohl sie um die Möglichkeit wußte, Privatisierungsauflagen auch auf dem Wege der Bildung von Mietergenossenschaften erfüllen zu können, und ihr klar sein mußte, daß die Genossenschaft nur gesicherte Aussicht auf Erfolg hätte, wenn sie die gesamte Immobilie erwerben könnte, nicht aber, wenn von ihr wichtige Teile, insbesondere die Gewerbeflächen, amputiert sind (wie es der Vertrag mit der WPGB besiegelte). Die WBM meint, sie habe unter Druck gestanden und konnte nur so die 408 anderen Wohnungen an den Zwischenerwerber noch 1995 verkaufen, woran sie interessiert war, weil 1995 von dem Verkaufserlös 30 % an den Erblastentilgungsfonds abzuführen waren und es 1996 dann 40 % gewesen wären. Diese ”Wirtschaftlichkeits”-Begründung steht dem Gesetzesauftrag zum vorrangigen Verkauf an die Mieter/innen - und sei es in Genossenschaftsform - völlig entgegen und löst den vom Gesetzgeber verschuldeten Widerspruch zwischen Gesetzesziel und progressiver Erlösabführung auf Kosten der Schwächsten unter den Betroffenen - den Mieter/innen. Andere Wohnungsbaugesellschaften verhalten sich da viel ”mieternäher” und wenden mehr Zeit für die Mieterberatung auf, obwohl auch sie sich in finanziellen Zwängen bewegen.
 
Dritter Skandal
Die WBM ließ und läßt Wohnraum leerstehen, gegen Recht und Gesetz, und zwar sofort bewohnbaren und vergleichsweise preiswerten Wohnraum, fast ausschließlich in den 1995 sanierten Häusern gelegen - offenbar zuliebe ihrer kapitalanlegenden Vertragspartner von der WPGB. Die Probe aufs Exempel zeigte: Wohnungssuchende, die sich für eine der leerstehenden Wohnungen beworben hatten und die auch bereit gewesen wären, Genossenschaftsmitglied beim Kauf der Häuser durch die Mietergemeinschaft zu werden, wurden von der WBM abgewiesen.
 
Also stehen mindestens seit Oktober 1995 12 Wohnungen - darunter 11 sanierte Wohnungen - leer, zu denen sich seitdem weitere fünf Wohnungen (davon zwei sanierte) gesellt haben! Inzwischen hat sich das Wohnungsamt eingeschaltet: Für eine der seit 1.1.96 illegal leerstehenden Wohnungen ist eine Wiederzuführungsanordnung bereits ergangen (Wiedervermietungsauflage bis 15.7.96 bei Androhung eines Zwangsgeldes). Bei sieben weiteren Wohnungen laufen die vorgeschriebenen Anhörungsverfahren mit dem Ziel, die Wiedervermietung bis 30.7.96 zu erreichen. Es ist anzunehmen, daß sich das Wohnungsamt noch um den übrigen Leerstand kümmern und auch die vorhandenen Gewerbe auf eventuelle Zweckentfremdung von Wohnraum überprüfen wird.
 
Vierter Skandal
Eine solide Genossenschaftsgründung setzt ein solides Konzept voraus - was wiederum nur auf einem seriösen Baugutachten beruhen kann. Die Mieterbeiräte der betroffenen Häuser kritisieren, daß die WBM es bis heute nicht fertiggebracht hat, ein solches Gutachten erarbeiten zu lassen. Allerdings liegt ein Gutachten der Möchtegern-Erwerber der ganzen Immobilie, also der WPGB, vor. Die darin angeführten enormen Summen, die angeblich für die Sanierung der Gebäude notwendig wären, sollen offensichtlich abschreckend auf die genossenschaftswilligen Mieter/innen wirken.
 
Die mangelnde Seriosität dieses Gutachtens läßt sich allein schon daran erkennen, daß es sogar die Kosten für die vollständige Sanierung der Häuser Planckstraße 20-22-24 in Rechnung stellt, obwohl diese Häuser im Vorjahr gerade saniert worden sind!
 
Genossenschaftwillige unter Zeitdruck
Das Fehlen eines fachlich einwandfreien, unabhängigen Baugutachtens hat zur Folge, daß die Zeit verrinnt, die die Genossenschaftsanwärter/innen brauchen, um rechtzeitig ein fundiertes Konzept für die Übernahme ihrer Häuser in Genossenschaftseigentum vorlegen zu können und so den Verkauf an Dritte zu verhindern. Deshalb ist auch das skandalös. Inzwischen ist auch bekannt, weshalb es von der WBM kein Baugutachten gibt: Hat sie doch im Vertrag mit der WPGB dieser Gesellschaft die Durchführung aller Baumaßnahmen für die gesamte Immobilie übertragen!
 
”Runder Tisch” mit allen Betroffenen
Am 30.4.96 kam es endlich unter dem Druck der Bewohner/innen zu einer Art ”Runder Tisch”: Die Mieterbeiräte, unterstützt durch Hartmann Vetter, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins und Mitglied des Privatisierungsbeirates, trafen mit der Geschäftsführung der WBM und den Vertretern der WPGB zusammen. Anwesend waren auch die Vertreter der diges GmbH, einer seriösen Beratungsgesellschaft aus Charlottenburg, mit Genossenschaftserfahrungen, die an die Stelle der von den Mieter/innen abgelehnten Gesellschaft CT GmbH getreten ist. Die Aussprache am 30.4. endete mit der Vereinbarung, sich am 3.6.96 (also nach Redaktionsschluß dieser Ausgabe) erneut zu treffen.
 
Drei Forderungen der Mieterbeiräte
Am 8. Mai formulierten die Mieterbeiräte und die Bürgerinitiative Dorotheenstadt drei Forderungen an die WBM, die ihre Schlußfolgerung aus der Aussprache darstellten:
  • Annullierung des Kaufvertrages, den die WBM mit der WPGB bezüglich ihrer Häuser geschlossen hat;
  • Aus Zeitgründen kein neues Baugutachten, sondern Überprüfung des vorliegenden Gutachtens durch einen unabhängigen Gutachter, insbesondere im Hinblick auf überflüssige, nochmalige Arbeiten in den sanierten Häusern;
  • Sofortige Vermietung der leerstehenden Wohnungen, vorzugsweise an Genossenschaftsinteressent/innen.
Die Haltung der WBM
H. Berkefeld, Leiter der Privatisierungsgesellschaft der WBM, an den uns WBM-Geschäftsführer Karl-Heinz Schmidt verwiesen hatte, verneinte in einem Gespräch Ende Mai die Möglichkeit, den Vertrag zu annullieren - Vertrag sei Vertrag, und die WPGB bestehe auf Erfüllung. Was die Überprüfung des Baugutachtens betreffe, sei diese aus seiner Sicht durch die Beratungsgesellschaft diges GmbH zu sichern. Diese Gesellschaft habe überhaupt die Verhandlungen mit der WPGB über Baumaßnahmen zu führen, weil die WPGB - siehe oben - laut Kaufvertrag mit der WBM dafür zuständig sei. Und die leerstehenden Wohnungen würden derzeit vermietet.
 
Befragt nach den hohen Quadratmeterpreisen im Kaufangebot an die Mieter/innen, ging er von einem Preis von 700.-DM/qm unsaniert zuzüglich Sanierungskosten aus. Da lohnt es also, Kalkulationen zu überprüfen! Und zu prüfen wäre auch, wieso den Bewohner/innen der nicht sanierten Gebäude in der Geschwister-Schollstraße 5 kein entsprechend differenziertes Angebot gemacht worden ist. Herr Berkefeld legte Berechnungen vor, wonach das Mitglied einer Genossenschaft belasteter als ein normaler Mieter bzw. ein Wohnungseigentümer sein würde, und erklärte auch, verbleibende Mieter/innen würden eine Anlage zum Mietvertrag mit Schutzbestimmungen vor Kündigung und Luxusmodernisierung erhalten. Das hat einmal mehr den Eindruck bestärkt: Die WBM will keine Mietergenossenschaft. Sie ist lieber über die Maßen ”vertragstreu” gegenüber dem Zwischenerwerber in seinem Vorhaben, die ganze Immobilie am 1.10.96 zu schlucken, als daß sie eine Genossenschaftsbildung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln fördern würde. Denn das würde ja das Übernahme- und Verwertungskonzept der WPGB durchkreuzen.
 
Den genossenschaftswilligen Mieter/innen stehen harte Wochen bevor - es sei denn, die für den 3.6.96 vorgesehen, gewesene neue Gesprächsrunde mit der WBM-Geschäftsführung und der WPGB habe zwischenzeitlich noch eine überraschende Wendung gebracht.
 
Jonny Granzow

MieterEcho Archiv | Inhaltsverzeichnis Nr. 257

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