Nr. 257 Juni/Juli/August 96

Privatisierung:
Genossenschaftsgründung durch „Abspaltung“ als Alternative?

Die Grundproblematik ist bekannt: Ebenso wie die kommunalen Wohnungsunternehmen müssen auch die Genossenschaften in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin 15% ihres Wohnungsbestandes privatisieren. So schreibt es das Altschuldenhilffegesetz vor. Davon betroffen sind über 100.000 Genossenschaftswohnungen in Ost-Berlin.
 
Ursprünglich sollte vorrangig an die Mieter/innen verkauft werden. Doch diese zeigten bisher mangels finanzieller Mittel wenig Interesse am Kauf ihrer Wohnung, so daß die Wohnungsunternehmen dazu übergehen, ihren Pflichtanteil an sog. Zwischenerwerber zu veräußern. Dies ist für sie auch mit weniger Aufwand verbunden, weil sie große Kontingente an Immobiliengesellschaften verkaufen können. Zudem stehen die Wohnungsunternehmen aufgrund der progressiven Erlösabfuhr unter erheblichem Zeitdruck, denn müssen sie 1996 40% der aus dem Verkauf erzielten Erlöse an den Erblastentilgungsfonds abführen, so sind es 1997 bereits 60%.
 
Mittlerweile gibt es, insbesondere was die Wohnungsbaugenossenschaften betrifft, eine Alternative zum Verkauf: die Abspaltung aus einer bestehenden Genossenschaft. In einem Merkblatt vom 25.4.96 hat das Bundesbauministerium dargelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Abspaltung aus einer bestehenden Genossenschaft als Privatisierungsform im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes Anerkennung finden würde.
 
Die durch eine Abspaltung entstehenden Teil-Genossenschaften müssen überwiegend getrennt werden, und die ausgegründete neue Genossenschaft muß eigentumsorientiert sein. D.h., den Mitgliedern dieser neu gegründeten Genossenschaft ist per Satzung die Möglichkeit zu eröffnen, künftig die Umwandlung von Genossenschaftswohnungen in Eigentumswohnungen zu verlangen, wenn dies mehr als die Hälfte der Mitglieder verlangt. Außerdem ist bei der Beschlußfassung über eine Abspaltung in der Generalversammlung eine 3/4-Mehrheit der Genossenschaftsmitglieder erforderlich.
 
Die Abspaltung könnte dann folgendermaßen erfolgen: Die Genossenschaft überträgt einen Teil ihres Wohnungsbestandes an die durch Abspaltung gegründete Genossenschaft „Neu“. Nach Abspaltung sind die Mitglieder der Genossenschaft „Alt“ zunächst noch an der Genossenschaft „Neu“ beteiligt und umgekehrt. Spätestens zwei Jahre nach Abspaltung sollten jedoch die Mitgliederstämme getrennt sein, so daß die Genossenschaftsmitglieder nur noch in der Genossenschaft Mitglied sind, in dessen Wohnung sie wohnen.
Eine Hilfestellung durch die Altgenossenschaften könnte dabei erheblich zum Gelingen der neuen Genossenschaften beitragen, in dem sie
- auf den ihr aus dem Verkauf zustehenden Anteil verzichtet.
- durch Beratung und Betreuung Unterstützung bieten.
 
Das Bundesbauministerium hält jedoch daran fest, daß die Erlöse, die durch eine Abspaltung erzielt werden, zu dem durch das Altenschuldenhilfegesetz vorgeschriebenen Anteil (1996: 40%, 1997: 60%) an den Erblastentilgungsfonds abgeführt werden müssen. Den beiden Genossenschaften „Alt“ und „Neu“ steht es dabei frei, einen Maßstab für den Abspaltungswert festzulegen. Die Gesellschaft für Wohnungswirtschaft und Stadtforschung GmbH (diges GmbH) hat nach Rücksprache mit dem Bundesbauministerium und Bundesfinanzministerium ermittelt, daß für diese ein Wertansatz von 400 DM/qm anerkennungsfähig ist.
 
Auf dieser Grundlage und unter der Voraussetzung, daß die Altgenossenschaft auf den ihr durch den Verkauf zustehenden Anteil des Erlöses verzichtet, hat sie folgende Modellrechnung entwickelt:
 
Grundannahmen
 Altgenossenschaft Abspaltung an Neugenossenschaft 
Wohn- und Gewerbeeinheiten10.000 1.500 
Quadratmeter600.000qm90.000qm
Buchwert1.000DM/qm400DM/qm
Gesamt600.000.000DM36.000.000DM
Genossenschaftspflichtanteil1.000DM1.000DM
Mieterdarlehen5.000DM5.000DM
Modellrechnung
abzuspaltende Fläche90.000qm 
Wertansatz400DM/qm 
Altschulden150DM/qm 
Basis für Erlösabfuhr250DM/qm 
Erlosabfuhr 40%100DM/qmx 90.000 qm = 9.000.000 DM
Die Genossenschaft „Alt“ ist nach dieser Modellrechnung verpflichtet, 9.000.000 DM an den Erblastentilgungsfonds abzuführen. Zwischen den beiden Genossenschaften „Alt“ und „Neu“ könnte diese abzuführende Summe aufgeteilt werden.
Variante 1: Beteiligen sich alle 10.000 Genossenschaftsmitglieder an der Aufbringung dieser Summe, so wäre ein einmalig zu zahlender Betrag in Höhe von 900 DM/Mitglied fällig, der wie folgt aufgebracht werden könnte:
- zusätzlich gezeichnete Genossenschaftsanteile: 900 DM/Wohneinheit
- oder Mieterdarlehen 900 DM/Wohneinheit
- oder Finanzierung über einen Kredit bei einer Annuität von 8%: 0,10 DM/qm/Monat
 
Variante 2 : Beteiligen sich die nicht von der Veräußerung betroffenen Mitglieder nicht an der Aufbringung der Mittel zur Abführung der Erlöse, so müßten die 9.000.000 DM von den abgespaltenen Mitglieder getragen werden, die wie folgt aufgebracht werden könnten:
- zusätzlich gezeichnete Genossenschaftsanteile: 6000 DM/Wohneinheit
- oder Finanzierung über einen Kredit bei einer Annuität von 8%: 0,67 DM/qm/Monat
 
Der grundsätzliche Vorteil dieser Lösung liegt darin, daß den Mieter/innen der Verkauf an einen Zwischenerwerber erspart bleibt und die Wohnungen weiterhin Genossenschaftseigentum bleiben. Zudem haben die Mieter/innen die Möglichkeit, als Mitglied einer Genossenschaft selbst ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Dabei ist die Variante 1 die einzig gerechte Lösung, da die Erlösabführung gleichmäßig auf alle Mitglieder der Altgenossenschaft und der durch Abspaltung gegründeten Genossenschaft verteilt wird. Denn schließlich ist es Zufall, welches Mitglied sich in einer Wohnung des abgespaltenen Teils der Genossenschaft wiederfindet. Ob und in welchem Maße von der Möglichkeit der Abspaltung Gebrauch gemacht wird, hängt nicht zuletzt vom politischen Willen der Genossenschaftsvorstände und vom Engagement der Mitglieder ab.
 
U.P.

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