Nr. 255 Januar/Februar 96

Eisiger Wind ins Gesicht der Mieter/innen

Die Neuauflage der CDU/SPD-Koalition ist Resultat des Machterhalts- und Pfründedenkens der um die bürgerliche Mitte bemühten Parteien. Symptomatisch hierfür ist die Besetzung des Bausenatorpostens durch den alten Schulsenator Kleemann (CDU). Von ihm dürfen wir zwar nicht allzuviel wohnungspolitische Kompetenz erwarten, aber als Zwangsvollstrecker der finanzpolitischen Misere stellt er wahrscheinlich eine gute Besetzung dar.
 
Mit der Ablösung von Wolfgang Nagel (SPD) will uns die alte Tante SPD ihren Abschied von einer einstigen sozialdemokratischen Politikdomäne verdeutlichen. Ist er doch ein Beispiel par excellence für sozialdemokratische Wendehalsigkeit in der Wohnungspolitik: Vom wohnungspolitischen Kampagnero über ein rotgrünes Reformkonzept zum marktwirtschaftlichen Apologeten wider besseren Wissens. Angetreten war Nagel, die Mietenexplosion zu stoppen, die Wohnungsbauförderung und ihre Finanzierung grundlegend zu reformieren, durch behutsame Stadterneuerung der Mieterverdrängung entgegenzuwirken und durch verstärkten Einfluß auf städtische Wohnungsunternehmen zugunsten der Mieterschaft den Marktkräften entgegenzusteuern. Verabschiedet hat er sich als Herr der Baustellen für Metropolenfans, als Exekutor der behutsamen Stadterneuerung, als Förderer von Wohnungen für Besserverdienende, und schließlich kam ihm die Erleuchtung, daß die Mieten in Berlin zu niedrig seien und darum steigen müssen.
 
Daß er den Privatisierungsauflagen des Altschuldenhilfegesetzes nichts entgegenzusetzen hatte, ist schlimm genug, daß er den Bestand der städtischen Wohnungsunternehmen in Westberlin ohne Not durch Privatisierung verringern wollte, macht auch ihn zum wohnungspolitischen Geisterfahrer. Aber von denen soll es in der ehemals gemeinnützigen Wohnungswirtschaft noch mehr geben, die in unserer Stadt mal Baustein einer Politikdomäne war.
 
Mangels Gegenpol möchte sich der sozialdemokratische Braintrust lieber mit marktwirtschaftlichen Spielchen um Macht und Profit befassen, als mit Politikkonzepten für die Leute, die sie mal gewählt haben. Daß die SPD damit Politikverdrossenheit auf der einen Seite anheizt und auf der anderen Seite in der Konkurrenz mit CDU und FDP um die Stimmen der Besserverdienenden nicht besser abschneidet, wird demnächst mit unter 20% bestraft. Aber unsere Sorgen als Mieter/innen über die Zukunft unserer Mieterstadt müssen nicht zwangsläufig die Sorgen um eine SPD sein, die um des eigenen Machterhalts willen lieber einen Senat mit satter Mehrheit bildet und für schwierigere Konstellationen mit Reformcharakter nicht zu haben ist.
 
Gerhard Eichmann
 
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