Nr. 255 Januar/Februar 96

Bonn kürzt Mittel für sozialen Wohnungsbau
Geld ist genug da, nur an der falschen Stelle!

Wußten Sie, daß mehr als 100.000 unserer Mitbürger in diesem Land MILLIONÄRE sind? Daß um die zwei Millionen Haushalte über monatliche Einkommen von 10.000 DM und mehr verfügen? Daß die jährlichen Gewinne der Unternehmen inzwischen 500 Milliarden DM betragen?
 
Wenn Sie das wissen, wissen Sie trotzdem noch nicht genug, denn Sie müssen sich folgendes vor Augen halten: Im Steueraufkommen der Bundesrepublik ist der Anteil der sogenannten Gewinnsteuern im Zeitraum 1960 bis 1992 von knapp 35% auf rund 17% gesunken - im gleichen Zeitraum aber stieg der Anteil der Lohnsteuer von 12 auf 36%! Damit sind wir beim eigentlichen, aber so verschwiegen behandelten Grundproblem in dieser Republik: Es mangelt nicht an Geld in diesem Land, wie es uns Waigel Glauben machen möchte, sondern an seiner richtigen Verteilung.
 
Dies wurde im November 1995 vielfältig belegt, als sich in Hamburg 400 Gewerkschafter/innen, Wissenschaftler/innen und Publizisten/innen und weitere Interessierte zum "Sozialpolitischen Ratschlag über Reichtum in Deutschland" trafen. *) Der Berliner Rechtsanwalt Dieter Hummel hat an dieser Tagung teilgenommen. ME sprach mit ihm.
 
ME: Eine von Ihnen moderierte Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit dem Thema "Reichtum aus Elend - wie an den Armen verdient wird". Worum ging es da besonders?
DH: In dieser Arbeitsgruppe ging es insbesondere darum, daß an Armut verdient, richtig Geld verdient werden kann. Man kann es vielleicht an zwei Beispielen verdeutlichen: Wenn an Armut nicht verdient werden könnte, würden Banken nicht so bereitwillig Kredite vergeben, also auch Kredite, die nicht gesichert sind. Es würden nicht so viele Kaufhäuser bereit sein, auf Kredit zu verkaufen. Kreditgeschäfte sind sehr lohnende Geschäfte für die Banken. Das war ein Beispiel aus der Arbeitsgruppe.
 
ME: Es werden also durch die Kreditpolitik Menschen arm gemacht - und insoweit wird an der Armut verdient ...
DH: Völlig richtig - Kredite haben eine Eigendynamik über die Zinsen, die auf Krediten laufen. Und wenn Kredite nicht mehr bedient werden können, d.h. wenn die Raten nicht mehr bezahlt werden können, sei es, daß Arbeitslosigkeit eingetreten ist oder daß man sich einfach übernommen hat, entwickelt sich eine Spirale nach unten, die in der Verarmung endet. Da wird angefangen zu sparen: An bestimmten Dingen läßt sich nur begrenzt sparen, am Essen z.B., da wird dann als erstes angefangen, die Miete nicht mehr zu bezahlen ...
 
ME: ... um das so "gesparte" Geld der Bank zukommen zu lassen ...
DH: Ja, was dann wiederum, inbezug auf die Miete, zu Mietrückständen mit der bekannten Folge führt, daß Räumungsklagen eingereicht werden und der Verlust der Wohnung droht. Da werden also über Kredite Leute zum Teil arm gemacht.
 
ME: Das war ein Beispiel ...
 
Reichtum aus Elend - ein weiteres Beispiel
 
DH: Ja, ein anderes war, wie an der Unterbringung von Obdachlosen oder Flüchtlingen verdient wird. In vielen Fällen werden Menschen zu exorbitanten Mieten in Abbruchhäusern untergebracht und wohnen zu sechst in kleinen Zimmern. Hier sind also nicht mehr Zimmer, sondern Betten vermietet worden. Und wenn sich damit nicht verdienen ließe, würden nicht große Unternehmen, wie z.B. hier in Berlin die Unternehmensgruppe Penz, in das Geschäft einsteigen und Flüchtlingswohnheime betreiben. Das sind ja keine karitativen Organisationen, sondern Unternehmen, die gezeigt haben, daß sie Geld verdienen können und sicherlich weiterhin Geld verdienen wollen.
 
ME: In Fällen wie bei Penz kommt das Geld doch aus dem Staatssäckel!
DH: Es ist so, daß Flüchtlinge in Häusern, die die Unternehmensgruppe Penz angemietet hat oder die ihr Eigentum sind, untergebracht werden. Dafür erhalten sie staatliche Zuschüsse oder bei der Unterbringung von Obdachlosen bezahlen Sozialhilfeträger die überteuerten Mieten. Da findet eine Umverteilung von Steuermitteln in Privateigentum statt.
 
Steuerpolitik - Umverteilung von unten nach oben
 
ME: Reichtum aus Elend ist ein Teil der Umverteilung von unten nach oben. Diese Umverteilung erfolgt vor allem mittels der Steuerpolitik - und davon sind ja alle betroffen, nur eben in sehr ungleichem Maße. Woran wurde das in Hamburg deutlich gemacht?
DH: Es gibt ein schönes Zitat, daß hier wiedergegeben werden sollte. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), ein sehr renommiertes Institut, hat im Hinblick auf das Steuerverhalten der Bundesregierung folgendes Resumee gezogen: "Nachdem die Unternehmen in der ersten Hälfte der 80er Jahre entlastet worden waren, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die mittleren und höheren Einkommensgruppen überdurchschnittlich begünstigt wurden, hatten zu Beginn der 90er Jahre die unteren Einkommensgruppen den Großteil der Last - relativ zu ihrem Einkommen - zu tragen. (...) In den 80er Jahren hat die Finanzpolitik (...) die Einkommen über die marktmäßige Entwicklung hinaus zugunsten der Unternehmen bzw. Gewinneinkommensbezieher umverteilt. Dies wurde begründet mit der Notwendigkeit, angebotsseitig die Bedingungen für Investitionen in Westdeutschland zu verbessern. Dafür, daß es erfolgreich war, gibt es keine Belege." Soweit die Aussagen des DIW.
 
Das Gesagte läßt sich mit einigen Beispielen belegen: Der Spitzensteuersatz für Einkommen beträgt 53%. In Hamburg sind Zahlen genannt worden, die belegen, daß die wirklich Reichen, also die über das größte Jahreseinkommen verfügen, maximal 36% Steuern bezahlen, und daß nur die "weniger" Reichen zum Spitzensteuersatz besteuert werden. Das hängt mit bestimmten Steuerprivilegien zusammen. Denn, wer viel verdient, kann auch dementsprechend viel gegenrechnen. Die direkten Steuern im Einkommensbereich, also die Einkommenssteuern, sind also, sagen wir mal, "manipulierbar", während die direkten Steuern bei Arbeiter/innen, also die Lohnsteuer, objektiv feststehen Die werden vom Arbeitgeber berechnet und abgezogen. Da gibt es kaum Möglichkeiten, über den Lohnsteuerjahresausgleich gegenzurechnen.
 
Mehrwertsteuer trifft Haushalte mit geringem Einkommen stärker
 
Aber viel gravierender sind die indirekten Steuern, die Verbrauchssteuern wie z.B. die Mehrwertsteuer. Diese betrifft jemand mit niedrigem Einkommen genau so mit 15% - wenn er sich eine Dose Bier kauft - wie jemand, der 150.000 oder 200.000 DM im Jahr verdient. Aber relativ betrifft es den mit niedrigem Einkommen stärker, weil er einfach weniger Geld hat. Das gilt für alle Verbrauchssteuern, die auf bestimmte Waren draufgeschlagen sind, wenn man vielleicht mal von der Sektsteuer absieht, die vielleicht höhere Einkommen stärker trifft, weil sie mehr verbrauchen ...
 
ME: Das vorhin angeführte Zitat vom DIW legt doch den Schluß nahe: Hoch mit den Steuern auf große Einkommen sowie auf Gewinne, damit Geld in die Staatskasse kommt, z.B. für den sozialen Wohnungsbau und Sozialleistungen.
DH: Also ich persönlich bin nicht sicher, ob eine höhere Besteuerung von Reichtum unbedingt notwendig wäre. Ich denke, als erster Schritt würde es schon mal ausreichen, wenn die real vorhandenen Steuermöglichkeiten auch konsequent ausgeschöpft und durchgesetzt würden.
 
Z.B., indem Steueraußenprüfungen in den Betrieben stattfinden, indem geguckt wird, aber ganz konsequent, daß die Leute, von denen man weiß, daß sie viel verdienen, real besteuert werden. Man braucht nur an den Fall Steffi Graf zu denken, um zu sehen, daß es in solchen Fällen ganz offensichtlich eine Bereitschaft gibt wegzugucken. Wenn da konsequenter nachgeprüft, durchgeprüft würde, dann wäre man schon einen ganz großen Schritt weiter. Dazu brauchte man noch gar keine höhere Besteuerung. Gegenwärtig aber, um auf die Außenprüfung in den Betrieben zurückzukommen, besteht für jeden Betrieb nur eine minimale "Chance", geprüft zu werden. Das hat natürlich Folgen: Wenn ich weiß, daß ich nicht geprüft werde, kann ich natürlich auch dementsprechend meine Einkommenssteuererklärung und Umsatzsteuererklärung abgeben.
 
Mietenpolitik - Umverteilung von unten nach oben
 
ME: Bei den Mieter/innen wird ja nun auch von unten nach oben umverteilt - wenn ich an die laut Miethöhegesetz zulässigen Mieterhöhungen von 30 bzw. 20% innerhalb von drei Jahren denke oder an die Steuervorteile für Wohnungskauf, Wohnungsbau usw.
DH: Ja, klar. Wohnraum braucht jeder, das ist einer dieser wenigen, wirklich existentiell wichtigen Bereiche, und damit läßt sich natürlich Gewinn machen, weil jeder da auch rein muß, Wohnraum braucht. Ich meine, es gab andere Möglichkeiten, in Berlin gab es lange Mietpreisbindung, die dann abgeschafft worden ist. Dabei ist überhaupt nicht einzusehen, warum z.B. die Mietsteigerungen weit über der Inflationsrate oder über der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts liegen. Natürlich ist das ein Mittel, um Geld umzuverteilen. Zahlen belegen, daß inzwischen die Miete bis zur Hälfte des Familieneinkommmens ausmacht. Das ist dann ein völlig irreales Verhältnis, da wir auf der anderen Seite dann Leute haben, die daran verdienen.
 
ME: Die betroffenen Mieter/innen haben ja geringe Einkommen und würden gern weniger als die Hälfte ihres Einkommens bezahlen, wenn sie trotzdem menschenwürdig wohnen könnten. Aber 1,5 Millionen Wohnungen fehlen in Deutschland, und zeitgleich wird der soziale Wohnungsbau noch mehr eingeschränkt.
 
Kürzungen im sozialen Wohnungsbau
 
DH: Daß der soziale Wohnungsbau abgeschafft wird, hat ja nichts damit zu tun, daß eine Sättigung am Wohnungsmarkt eingetreten ist. Sondern man hat den Privatunternehmer die Möglichkeit eröffnet, in diesem Bereich Gewinne für sich zu erwirtschaften. Das ist einfach eine politische Entscheidung gewesen, und hier kann man natürlich gegensteuern, indem man sagt: Der soziale Wohnungsbau muß wieder stärker gefördert werden, soziale Transferleistungen und gesellschaftliche Transferleistungen wie Wohngeld müssen erhöht werden. Sie müssen wieder einen realen Bezug kriegen. Man kann wieder eine Mietpreisbindung für bestimmte Bereiche, Wohngebiete einführen. Und wenn schon privat Wohnungen gebaut werden, müßte stärker als bisher eine bestimmte Mietpreisbindung erfolgen, wenn staatliche Förderungen laufen, und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften müßten in die Lage versetzt werden, selber Wohnraum zu schaffen, und zwar mit sozial erträglichen Mieten.
 
Es ist eine staatliche Aufgabe, Wohnungen zu einem solchen Preis zur Verfügung zu stellen, daß es nicht Menschen in ihrer sonstigen Lebensplanung derart einschränkt, wie das derzeit der Fall ist, wenn z.B. bis zur Hälfte des Einkommens für die Miete draufgeht.
 
(Das Gespräch führte Jonny Granzow)
 
*) Alle gehaltenen Referate sind in einem Buch enthalten, das beim Diestel-Verlag, Heilbronn, erhältlich ist.
 
MieterEcho-Archiv | Inhaltsverzeichnis Nr. 255